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Polens Ex-Premier Kaczynski während eines Vortrags an der Hochschule in Nysa im September

© imago/Mateusz Slodkowski

Kaczyńskis Kalkül: Warum Polens Ex-Regierungschef einen deutsch-polnischen Krieg herbeifantasiert

Jarosław Kaczyński wettert gegen Deutschland und sieht sein Land im Krieg mit dem westlichen Nachbarn. Dabei geht es ihm allein um Machterhalt. Ein Gastbeitrag.

Ein Kommentar von Paweł Wroński

Stand:

Dass der ehemalige polnische Ministerpräsident Jarosław Kaczyński einen imaginären deutsch-polnischen Krieg heraufbeschwört, während jenseits der Grenze ein ganz realer ukrainisch-russischer Krieg tobt, erscheint absurd. Aber aus Sicht der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ist es absolut nachvollziehbar.

Drei Tage nachdem Kaczyński in Stettin gewettert hatte, Deutschland wolle Polen unter seinen Stiefel nehmen, einen Tag nach dem Tag der Deutschen Einheit, an dem der polnische Außenminister Zbigniew Rau in einer diplomatischen Note Reparationen für den Zweiten Weltkrieg forderte, dankte dessen deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock in Warschau Polen und den Polen. Sie dankte für den Beitrag zur deutschen Wiedervereinigung. Sie äußerte Bewunderung für die Entschlossenheit des Nachbarlandes, die Ukraine zu unterstützen. Sie erinnerte daran, dass die Einheit der EU auf dem Spiel stehe und nur Wladimir Putin sich freuen könne, wenn diese Einheit zerbräche.

Unser Gastkommentator Paweł Wroński ist Redakteur der polnischen Zeitung „Gazeta Wyborcza“. Dort erschien auch eine längere Version seines Kommentars.

© Agencja Gazeta/Andrzej Krasowski

Wozu braucht Kaczyński dann diesen „Krieg“ gegen Deutschland? Fest steht: Kaczyński hat viele Anhänger und ist in der Lage, zahlreiche Feinde zu konstruieren. Nach den Flüchtlingen und der LGBTQ-Gemeinschaft ist Deutschland das perfekte Feindbild für den nächsten Wahlkampf 2023. Mit einer angeblichen finsteren deutschen Verschwörung lassen sich Polens Katastrophen und seine Vereinsamung in der europäischen Politik erklären, um dann die innenpolitischen Gegner anzugreifen und sie als Verräter oder Lakaien Berlins zu beschimpfen. So kann man den vor allem in der älteren Generation tiefsitzenden Hass auf die Deutschen nutzen, der in den Schulen zur Zeit des Kommunismus vermittelt wurde.

Es trifft sicherlich zu, dass Polen keine zufriedenstellende Entschädigung für seine Verluste im Zweiten Weltkrieg erhalten hat. Doch man kann sich fragen, ob die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und in der westlichen Zivilisation nicht eine ausgleichende Genugtuung für die Polen darstellt. Und die Frage drängt sich auf, ob es Kaczyńskis Partei tatsächlich um historische Gerechtigkeit geht. Oder eher um eine weitere politische Keule, mit der sie auf ihre Gegner einschlagen kann. Meiner Ansicht nach trifft Letzteres zu.

Die Zukunft des Landes? Die PiS denkt in den Kategorien des Machterhalts.

Paweł Wroński 

Baerbocks Äußerungen lassen keinen Zweifel daran, dass sich die Deutschen an diesem „Krieg“ – der vorerst ein Propagandakrieg ist – nicht beteiligen wollen. Sie haben erkannt, dass es sich um einen Stellvertreterkrieg handelt, der auf die polnische Wählerschaft zielt. Keine der großen Mächte unterstützt die polnischen Forderungen nach Reparationen. Nicht einmal die Israelis, die Kaczyński mit dem Versprechen, das Erhaltene zu teilen, zur Zusammenarbeit überreden wollte.

Für Deutschland gibt es wichtigere Probleme: die Ukraine, die Energiekrise. Baerbock forderte die PiS-Politiker deshalb auch auf, an die Zukunft des Landes zu denken. Es wäre ein Irrtum, zu glauben, dass sie das tun werden. Die PiS denkt in den Kategorien des Machterhalts.

Polen hat die Chance, ein sicheres, wohlhabendes Land zu werden, das von europäischen Mitteln profitiert und die Zukunft der Europäischen Union mitbestimmt. Herr Kaczyński, der Krieg findet hinter der Ost- und nicht hinter der Westgrenze statt!
 

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