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 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus.

© imago/Emmanuele Contini / IMAGO/Emmanuele Contini

Sexuelle Gewalt an Kindern: Es ist meist nicht der „fremde Mann“

Neue Kampagne des Familienministeriums will über das Tabu sexueller Gewalt in Familien und deren Umfeld aufklären

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

Stand:

Auf den fremden Mann im Gebüsch war Verlass. Der schlich da am Rand vom Spielplatz herum, um sich sein Opfer auszusuchen. Dann zog er Bonbons aus der Tasche, versprach einem arglosen Kind dolle Spielsachen, und die Falle schnappte zu. Für diese Figur des „fremden Mannes“ gibt es in Hamburg sogar einen eigenen Begriff: Der Mitschnacker.

Sexuelle Gewalt gegen Kinder ging in der öffentlichen Wahrnehmung traditionell auf das Konto des Mitschnackers, landläufig „Kinderschänder“ genannt. Daran war so gut wie alles falsch. Wenn Erwachsene ein Kind missbrauchen liegt die Schande nicht beim Kind, und der „fremde Mann“ ist bei diesen Delikten der seltenste überhaupt. Die überwältigende Mehrheit der Täter und Täterinnen stammt aus der Familie, dem nahen Umfeld.

Angesichtes dieser belegten Statistik kommt die Regierung jetzt zur Sache – zur schwer tabuisierten. Gemeinsam starten Familienministerin Lisa Paus und die Unabhängige Beauftragte des Bundes für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Kerstin Claus, eine bundesweite Aufklärungs- und Aktivierungskampagne. Passend weist der Name der Aktion - „Schieb den Gedanken nicht weg!“ - auf die gängige Verdrängung.

Nicht nur ein Problem in Kirchen oder Sportvereinen

Claus warnt davor, die Problematik gedanklich in die Kirchen zu verlagern, in Sportvereine, auf Campingplätze oder ins Internet. Wer die Taten begeht ist uns bekannt – daher das Tabu, daher der „fremde Mann“, stellvertretend für das verdrängte Fremde in uns selber wie in unserer nächsten Nähe.

Die Kampagne von Paus und Claus begann einen Tag vor dem 18. November, dem „8. Europäischen Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“.

Das Amt des UBSKM macht seit einiger Zeit darauf aufmerksam, dass in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder sitzen, die sexuelle Übergriffe oder Gewalt erfahren. Daher heißt auch der UBSKM-Podcast dazu „Eins bis zwei“.

Ahnungen haben viele, dass „sowas“ im privaten Bereich vorkommt. 90 Prozent stimmen dem bei Umfragen zu. Erstaunliche 85 Prozent erklären zugleich: „Aber in meinem Umfeld überhaupt nicht!“

Zum Auflösen dieses Tabus wollen die Initiatorinnen mit ihrer Kampagne beitragen. Den Gedanken an Taten in der persönlichen Umgebung nicht wegzuschieben ist eine sinnvoll gewählte Ermunterung. Flankiert wird sie mit der Aufforderung, Kindern stets Glauben zu schenken, wenn sie über entsprechende Erlebnisse und Ängste berichten, sich über typische Anzeichen solcher Fälle zu informieren, und Unterstützung zu suchen, etwa beim Hilfe-Telefon gegen sexuellen Missbrauch, dessen Nummer (0800 22 55 530) jede und jeder am besten einfach abspeichern solle.

Seit 2010 das erschreckende Ausmaß an Sexualdelikten in mehreren schulischen Institutionen bekannt wurde, haben Interesse und Diskussion zugenommen. Es wird weniger bagatellisiert, es gibt bessere Prävention. Die Zeit für die aktuelle Kampagne, die auf das Nahfeld weist, war mehr als reif.

Am Echo auf diesen Paukenschlag – wie laut, wie leise - wird sich zeigen, wie bereit die Gesellschaft zur Verantwortung gegenüber ihren Kindern ist. Kinder seien „unsere Zukunft“, heißt es gern. Doch Kinder leben in der Gegenwart, und die ist ihre Zukunft, die durch das Heute mitbestimmt wird.  

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