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Teilnehmer einer Protestaktion stehen mit Transparenten auf einer Yacht im Hafen von Neustadt.

© dpa

Klimaproteste gegen Reiche: Lieber Farbe auf Luxusgüter als Kleber auf Straßen

Yachten und Privatjets sind das neue Ziel der „Letzten Generation“. Warum sich die Gruppe damit endlich auf das Richtige fokussiert.

Ein Kommentar von Luca Lang

„Lady M“ steht auf der Flanke der Yacht, die am Dienstag in Neustadt in Holstein einen neuen Anstrich verpasst bekam. Statt in kahlem Weiß erstrahlt das Schiff nun in einem Orangeton, der bereits Privatjets und Sylter Luxusboutiquen zierte, auf die die „Letzte Generation“ in den vergangenen Wochen ihren Protest konzentrierte.

Auch die „Letzte Generation“ selbst hat einen neuen Anstrich. Einer, der den Aktivist*innen deutlich besser zu Gesicht steht als Klebstoff und Asphalt. Die neuen Ziele sind „Symbole des modernen Reichtums“.

Die Klimaschützer*innen scheinen etwas Grundsätzliches verstanden zu haben (zwar etwas spät, aber sei's drum): Gesellschaftlicher Wandel braucht gesellschaftliche Zusammenschlüsse. Und die lassen sich nicht erreichen, indem man das Leben von Arbeiter*innen auf dem Weg zum Job erschwert oder im Museum Tomatendosen entleert.

Soziale Mobilisierung braucht immer Antagonismen.

Jannis Grimm, Leiter der Forschungsgruppe „Radical Politics“ an der FU Berlin

Stattdessen macht sich die „Letzte Generation“ mit ihrem Kurswechsel ein altbewährtes Mittel zivilgesellschaftlicher Bewegungen zunutze: die Konstruktion eines Gegenparts.

Kurz nach der Ankündigung, ihren Protest auf Reiche zu konzentrieren, besprühten Aktivist*innen der „Letzten Generation“ einen Privatjet auf Sylt.
Kurz nach der Ankündigung, ihren Protest auf Reiche zu konzentrieren, besprühten Aktivist*innen der „Letzten Generation“ einen Privatjet auf Sylt.

© picture alliance/dpa/TNN/Julius Schreiner

„Soziale Mobilisierung braucht immer Antagonismen“, sagt Jannis Grimm. Er leitet die Forschungsgruppe „Radical Politics“ an der FU Berlin. „Hinter diesem Antagonismus lassen sich dann Koalitionen bilden.“

Es wird kein Privatjet auf dem Boden, keine Yacht im Hafen bleiben, nur weil sie mit Farbe besprüht werden. Das dürfte aber auch kaum das Ziel der Aktivist*innen sein. Mit ihren Aktionen machen sie vielmehr auf einen zentralen Umstand der Klimakrise aufmerksam: Verantwortung und Lasten sind extrem ungleich verteilt.

2019 war das reichste Prozent der Welt für 17 Prozent der Emissionen verantwortlich. Laut einer Oxfam-Studie aus dem Jahr 2022 verursacht der Lebensstil einzelner Milliardär*innen knapp 8.200 Tonnen CO₂ jährlich – im Vergleich zu durchschnittlich 1,6 Tonnen in der unteren Hälfte der Weltbevölkerung.

Rechnet man die mit den Investitionen der Top 125 Milliardär*innen zusammenhängenden Emissionen ein, ist allein ihr Fußabdruck ungefähr so groß ist wie der von Frankreich.

Der Protest der Gruppe richtet sich auch gegen Boutiquen für Luxusmode, wie hier am Kurfürstendamm in Berlin.
Der Protest der Gruppe richtet sich auch gegen Boutiquen für Luxusmode, wie hier am Kurfürstendamm in Berlin.

© picture alliance/dpa/Paul Zinken

Diese Ungleichverteilung ist Folge eines Systems, in dem Superreiche nicht nur Symptom sind. Sie sind maßgeblich an seiner Stabilität beteiligt – durch Lobbyarbeit sowie Einfluss auf Politik und Medien.

Dass diese Machtasymmetrie nicht nur dem Klima, sondern auch der Gesellschaft schadet, könnte genauso konsensfähig werden wie die Tatsache, dass die Spielzeuge von Superreichen nicht zu rechtfertigende CO₂-Emittenten sind. Und vielleicht lässt sich hinter dem neuen Antagonismus der Letzten Generation auch der eine oder die andere Stauhasser*in versammeln.

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