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ARCHIV - 13.08.2025, Berlin: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, l) begrüßt Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, bei dessen Ankunft im Garten des Bundeskanzleramtes. (zu dpa: «Auch Merz begleitet Selenskyj zu Treffen mit Trump») Foto: John Macdougall/AFP Pool/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/JOHN MACDOUGALL

Leserbrief zu Plänen für die Ukraine: Frieden entsteht durch strategische Klarheit

Unsere Leserin, selbst in der Allianz Ukrainischer Organisationen aktiv, fordert Konsequenzen für den Angreifer Russland. Sonst beginne bald der nächste Krieg. Und wie sehen Sie’s?

Stand:

Ohne Zweifel wünschen sich die Menschen in der Ukraine wie niemand sonst ein Ende des Krieges – ein Ende, das nicht durch ein bloßes Schweigen der Waffen, sondern nur durch einen gerechten und nachhaltigen Frieden erreicht werden kann. Genau an diesem Punkt jedoch scheitern die vermeintlichen „Friedensvorschläge“ aus Russland.

Dies gilt auch für den veröffentlichten 28-Punkte-Plan, der vorgibt, einen Weg aus Russlands Krieg gegen die Ukraine zu weisen. In Wahrheit bietet dieser „Plan“ keinen Frieden, sondern entmündigt die Ukraine als souveränen Staat. Er definiert die Zukunft des Landes über die Köpfe der Ukrainer:innen hinweg, ignoriert grundlegende Prinzipien des Völkerrechts, übernimmt zentrale Forderungen des Kremls und gefährdet damit nicht nur die Ukraine, sondern die europäische Sicherheitsordnung insgesamt. Seine Vorschläge belohnen russische Aggression, statt sie zu stoppen, und zementieren eine Logik, in der Gewalt und Erpressung politische Entscheidungen bestimmen.

Seit Beginn der vollumfänglichen Invasion – und faktisch seit 2014 – hat Russland systematisch schwerste Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen begangen. Etwa 100.000 dokumentierte Fälle sprechen eine eindeutige Sprache: gezielte Tötungen von Zivilist:innen, Folter, sexualisierte Gewalt, Deportationen von Kindern, Angriffe auf Wohngebiete und kritische Infrastruktur. Auf besetzten Gebieten herrscht ein durchorganisiertes System staatlicher Gewalt und Unterdrückung.

Genau deshalb ist der 28-Punkte-Plan inakzeptabel. Er verlangt von der Ukraine einseitige Zugeständnisse, ohne den Aggressor zu irgendwelchen substantiellen Schritten zu verpflichten – weder zum Abzug seiner Truppen, noch zur Rechenschaft, noch zu verbindlichen Sicherheitsgarantien. Damit kehrt der Plan die Logik des Friedens ins Gegenteil: Das angegriffene Land wird bestraft, der Angreifer belohnt. Ein solcher Ansatz würde nicht nur die Ukraine zerstören, sondern international signalisieren, dass militärische Gewalt im 21. Jahrhundert erneut ein legitimes Mittel zur Veränderung von Grenzen sein kann. In einer ohnehin fragilen Sicherheitslage wäre das ein verheerendes Signal mit globalen Folgen.

Vor diesem Hintergrund ist der europäische Gegenvorschlag – ein europäischer Friedensplan – grundsätzlich ein wichtiger Schritt. Er markiert ein notwendiges Umdenken: Europa kann seine eigene Sicherheit nicht delegieren, und ein dauerhafter Frieden ist ohne europäische Verantwortung nicht erreichbar. Doch dem Vorschlag fehlt ein zentraler Bestandteil: Entschlossenheit. Europa benennt normative Prinzipien, aber keine klaren strategischen Konsequenzen. Es formuliert Zielbilder, aber keine Instrumente. Es beschreibt die Notwendigkeit eines Friedens, aber nicht die praktischen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Maßnahmen, mit denen dieser Frieden tatsächlich errungen werden kann.

Solange die europäischen Staaten nicht bereit sind, klar und aktiv das Ziel zu formulieren, die Ukraine jetzt mit allen erforderlichen Mitteln zum Sieg zu befähigen, bleibt jeder Friedensplan eine Illusion. Frieden entsteht nicht durch Neutralität, sondern durch strategische Klarheit. In diesem Kontext bedeutet „Gewinnen“, Russland so weit zurückzudrängen, dass es politisch, militärisch und wirtschaftlich nicht mehr in der Lage ist, den Krieg fortzuführen.

Diplomatie allein wird dieses Ziel nicht erreichen. Dazu gehören: die vollständige und konsequente Umsetzung aller Sanktionen, einschließlich der Schließung verbliebener Schlupflöcher; die massive Ausweitung europäischer Rüstungsproduktion, um der Ukraine verlässlich Munition, Luftverteidigung, Artillerie und moderne Waffensysteme bereitzustellen; die Freigabe eingefrorener russischer Vermögenswerte nicht nur für den Wiederaufbau, sondern auch zur unmittelbaren militärischen Unterstützung; der Aufbau einer europäischen Sicherheitsarchitektur, die Russland effektiv abschreckt, statt es zu beschwichtigen; eine strategische Kommunikation, die klarstellt, dass der Sieg der Ukraine keine Eskalation, sondern eine Voraussetzung für Europas langfristige Sicherheit ist; und eine langfristige wirtschaftliche Stabilisierung der Ukraine, damit sie als europäischer Staat politisch und institutionell handlungsfähig bleibt.

Europa muss sich der Realität stellen: Dieser Krieg endet nicht, wenn man Russland politische Kompromisse anbietet. Er endet nur, wenn Russland erkennt, dass Gewalt keinen Erfolg bringt – und wenn die Ukraine stark genug ist, ihr Territorium zu befreien und ihre Bevölkerung zu schützen. Ohne klare Sicherheitsgarantien für die Ukraine wird jeder „Frieden“ zur Illusion – und zur unmittelbaren Gefahr für ganz Europa. Eine Beendigung des Krieges ohne klare Konsequenzen für den Angreifer bedeutet nur eines: den nächsten Krieg. Nataliya Pryhornytska, Erste Stv. Vorsitzende, Allianz Ukrainischer Organisationen

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