Lesermeinung: Bildungsideen für Brandenburg – aus Finnland oder aus der DDR?
Zu: „Baaskes diplomatische Schlitterpartie“, 26.9.
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Zu: „Baaskes diplomatische Schlitterpartie“, 26.9. Ich war bei allen in Jyväskylä geführten Gesprächen als Dolmetscherin dabei und möchte den Artikel aus meiner Sicht kommentieren. Baaske hatte wiederholt Bezug genommen auf Ähnlichkeiten im Bildungs- und Gesundheitswesen von Finnland und der DDR. Er sagte, dass die unreflektierte Übernahme westdeutscher Strukturen in allen Lebensbereichen nach der Wende gerade im Osten zu großen Problemen im sozialen und Bildungsbereich führte. Sein Anliegen war die Entwicklung beider Bereiche, um sozialen Problemen vorbeugen zu können. Der Autor vermittelt den Eindruck, Baaske habe sich mit diesen Äußerungen total daneben benommen und schwelgte in DDR-Nostalgie, was die Finnen und den deutschen Botschafter äußerst peinlich berührt hätten. Dass der heutige PISA-Sieger Finnland sich Anregungen aus der DDR holte, sei unbelegt. Es sei zudem eine undifferenzierte Beschönigung der DDR. Ich lese diese Zeilen – 15 Jahre nach der Wende – mit großer Verwunderung. Ist es nicht an der Zeit, vorwärts zu denken und sich endlich auf funktionierende Strukturen zu besinnen? Ironisch genug, dass das erst jetzt über den finnischen Umweg möglich ist. In Finnland gehört es zum Allgemeinwissen, dass sich das Land bei seiner Bildungsreform 1970 unter anderem an der DDR orientierte, Pädagogen und Wissenschaftler mit DDR-Vergangenheit erinnern sich noch gut an die Zusammenarbeit mit den Finnen. Gerade in Sachen Einheitsschule – deren Grundgedanke gleichberechtigte Bildungsmöglichkeiten für alle Schüler, ungeachtet ihrer sozialen Herkunft ist – holte sich Finnland wesentliche Anregungen aus der DDR. Zwar war die Einheitsschule – die 1970 von einem Parlament mit mehrheitlichen Sitzen der Linksparteien – für die Klassen 1 bis 9 eingeführt wurde, ein politisch umkämpftes Thema. Heute wird das Konzept jedoch von keiner finnischen Partei mehr in Frage gestellt. Die Ergebnisse der über 30-jährigen finnischen Bildungs- und Sozialpolitik sprechen für sich. Ich frage mich, wer die finnischen Teilnehmer sein sollen, die „nach übereinstimmenden Schilderungen“ Baaskes Auftritt im Rathaus Jyväskylä als „Höhepunkt der diplomatischen Schlitterpartie“ empfunden haben sollen. Der Autor nahm an diesem Gespräch selbst nicht teil. Mit einer Aussage könnte der Autor allerdings Recht haben: Der deutsche Botschafter in Helsinki soll bei Baaskes Ausführungen keine Miene verzogen und nur den Kopf gesenkt haben. Der Botschafter, der gerne an die militärische Ausbildung finnischer Jäger im Schleswig-Holsteinischen Hohenlockstedt im ersten Weltkrieg erinnert, hielt im Mai vor einer Potsdamer Delegation in Jyväskylä eine Rede über die Traditionen finnisch-deutscher Beziehungen. Er behauptete, die Finnen seien wegen ihres östlichen Nachbarn damals zur Zusammenarbeit mit der DDR gezwungen gewesen, hätten die Beziehungen nach der Wende jedoch schnell vergessen – eine Bemerkung, über die man sich nur wundern kann. Abschließend noch eine Bemerkung zu einem weiteren angeblichen Ausrutscher Baaskes, der die Redewendung „durch die Lappen gehen lassen“ verwendete. Der Autor behauptet, dies sei eine Beleidigung für die Lappland bevölkernden Samen. Wie wir alle wissen, bedeutet die Redewendung „entwischen/entkommen“. Etymologisch stammt sie aus der Jägersprache: Das Wild sollte durch Aufhängen bunter Lappen am Ausbrechen aus dem Jagdrevier gehindert werden. Wenn sie trotzdem ausbrachen, dann „gingen sie durch die Lappen“. Es ist eine kleine, aber bezeichnende Fehlinterpretation. Bleibt die Frage, warum der Autor offensichtlich mehr an einer öffentlichen Austragung seiner persönlichen Aversionen gegen Baaske interessiert war als an der finnischen Bildungs- und Sozialpolitik. Das Argument einer undifferenzierten Sichtweise fällt letztlich auf den Autor des „Schlitterpartie“-Artikels zurück. Sabine Ylönen, Jyväskylä/Finnland
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