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Lesermeinung: Bildungspolitik: Seit 40 Jahren Reformen – aber die Lernleistungen sinken

Zu: „HEYES Woche. Ein Schultest und die soziale Spaltung“, 31.

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Zu: „HEYES Woche. Ein Schultest und die soziale Spaltung“, 31.7. 2010

Uwe-Karsten Heye hatte also eine Fünf in Französisch. Wie oft prahlen Prominente mit schlechten Schulnoten. Aber auch Herr Heye sollte die Zahlen lesen, um die Tatsachen bewerten zu können. Beim IGLU-Test 2008 (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) der vierten Klassen lag Brandenburg an letzter Stelle der ostdeutschen Länder, Thüringen bundesweit an erster. Ein Zusammenhang mit der sozialen Frage oder der gescheiterten Reform in Hamburg lässt sich nicht herstellen. Auch die Klassengröße hatte keinen Einfluss auf die Leistungen. Beim PISA-Vergleich 2008 lagen Sachsen und Thüringen weit besser als der OECD-Durchschnitt, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin aber schlechter. Sachsen liegt als Nachbarland zu Brandenburg mit seiner Bildung an zweiter Stelle – fast weltweit. Hier führt Finnland, aber alle anderen skandinavischen Länder landen abgeschlagen noch hinter Berlin. Der beliebte Blick nach Skandinavien führt in die Irre, ein Blick in die nähere Umgebung könnte helfen.

Die Bildungsstatistik enthüllt ein anderes beunruhigendes Phänomen: Die ostdeutschen Länder haben – gleichzeitig – die höchsten prozentualen Abiturientenzahlen und die meisten Schulabbrüche. Dies ist kein Zufall, zumal die überhöhte Abiturientenquote der Studienwilligkeit nicht etwa entspricht. Im „Nordstaat“ aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin und Sachsen-Anhalt erreichen weit über zehn Prozent der Schüler gar keinen Schulabschluss (Bundesdurchschnitt 7,9 Prozent). Wie ernst dieses Problem ist, zeigt die Arbeitslosenstatistik: Fast eine halbe Million Arbeitslose verfügen über keinerlei Schulabschluss. Andererseits weisen Bayern und Baden-Württemberg zwar die geringsten Abiturientenzahlen aber auch die kleinsten Abbrecherquoten auf. Bundesweit spielen – anders als erwartet – Elternwille und Elternstatus die geringste Rolle beim Bildungserfolg. Vor diesem Hintergrund sollten die unbekümmerten Reformprojekte von Landesregierungen gesehen werden. Der SPD-Politiker Olaf Scholz sagte vor einiger Zeit, dass im Bildungswesen der Bundesländer seit vierzig Jahren – mit besten Absichten – reformiert wird, die Lernleistungen aber stetig sinken. Mit anderen Worten: Herumdoktern am System bringt es nicht. Man suche die wirklichen Gründe für die offensichtlichen Unterschiede besser in Qualifikation und Durchsetzungsvermögen des Lehrkörpers sowie der Leistungsorientierung der Rahmenbedingungen. Man hatte in Ostdeutschland die einmalige Chance, auf der Basis der Erfahrungen mit zwei (!) Schulsystemen, zum Vorteil der Schüler alles richtig zu machen. Offensichtlich haben einige der neuen Länder die Chancen der 90er Jahre mehr, die anderen weniger ergriffen.

Günther Rüdiger, Potsdam

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