Über die Mauergedenkstätte am Griebnitzsee: Bleiches Gedenken oder bunte Schönfärberei
Sechs einmeterbreite Mauersegmente aus Beton - sehen von vorne aus wie ein Silo im Bau und von hinten wie eine fertige Doppelgarage.
Stand:
Wahrscheinlich die jämmerlichste Gedenkstätte über die kommunistische Gewaltherrschaft von Hötensleben bis Workuta.
Nun ist sie auch noch heimlich und hinterrücks bemalt worden. Von einem ehemaligen Westberliner ›Mauermaler‹. Wegen eines Regens, sagt er, wurde er nicht fertig und wir sind damit der Debatte enthoben, ob es sich hierbei um Kunst oder Kitsch handelt. Seitdem ihm gesagt wurde, dass das Bemalen fremden Eigentums eine Strafttat ist, möchte er alles wieder weiß malen, bzw. RALgrauweiß, in Abstimmung mit der zuständigen Denkmalbehörde. Eigentlich alles Paletti, sozusagen.
Aber, weil der Mauermaler ein prominenter Mauermaler ist und in Potsdam bekanntlich jeder seinen Senf zu allem geben kann, gefragt und ungefragt, ist ein Dilemma inclusive Mißverständnissen und Rundem Tisch entstanden. Der Denkmalpfleger der Landeshauptstadt hat seinen Einsatz verpasst, der Mauermaler
wird wahrscheinlich die Übermalung wegen anstehender Nachtfröste verpassen. Einige Hinweise in dieser Sache seien mir erlaubt, wegen einer akuten Erkrankung kann ich leider an keiner weiteren Gesprächsrunde teilnehmen.
Die Mauer
Im August 1961 mauern die ostdeutschen Inter-Nationalsozialisten alle Bewohner ihres Machtbereichs ein. Um sie an der Flucht zu hindern und die totale Gleichschaltung zu vollenden. Was seit Menschengedenken undenkbar blieb, die andauernde Gefangenschaft eines ganzen Volkes hinter realen Mauern, wurde von 1961 bis 1989 17 Millionen Deutschen zum Verhängnis. Vor 13 Jahren fiel diese Mauer plötzlich um.
Als Ungarn schon die West-Grenze geöffnet hatte, Solidarnosc in Polen an die Macht gelangt war und die Russen ihr politisches System umdrehten, wurde in Ost-Berlin die Mauer-Garantie um 100 Jahre verlängert. Bei einer Wahlbeteiligung von 98,77% und 98,85%iger Zustimmung der Wähler bei den Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 für die Kandidaten der SED-geführten Nationalen Front, erschien diese Prognose - abzüglich obligatorisch hochgeschummelter Zahlen - durchaus plausibel und legitim. Dann ging alles holterdiepolter und nach 40 Jahren »Das Land ist still« (Biermann) wurde es in den letzten Monaten doch noch ziemlich laut - aber da war eigentlich schon alles vorbei; die Mauer verschwand so schnell, wie sie gebaut wurde und die wenigen Reste blieben oft nur aus Versehen stehen. So auch die sechs Mauerteile am Griebnitzsee.
Die Mauergedenkstätte am Griebnitzsee Auf der historischen Aufnahme ist die Dimension der Grenzanlage zu erkennen. Potsdamer Jugendliche wussten nicht mehr, dass hinter der Mauer ein See lag, die Potsdamer Stadtkarte markierte das Land hinter der Mauer weiß wie ewiges Eis. Seit 2001 bemühten sich Vertreter von Parteien und Bürgerinitiativen um den Erhalt der authentischen Mauersegmente, scheiterten aber an der Entscheidung des Landesamtes
für Denkmalpflege vom Februar 2002, dass deren fragmentarischer Charakter nicht den Kriterien des Denkmalschutzes entspricht. Im Juli 2003 erklärt die Stadtverwaltung die Aufnahme der Mauersegmente in eine schützende Satzung für unverhältnismäßig.
Im September 2003 beschließt dagegen der Hauptausschuss der Stadtverordneten die Sicherung durch die Stadt. Cornelia Behm, MdB, dazu: ”Der Beschluss…ist zwar inhaltlich nützlich, sorgt aber noch lange nicht für einen Denkmalschutz… Weitere Versuche, die Mauersegmente unter Denkmalschutz zu stellen, sind bislang gescheitert.«
Am 13. August 2008 fordern mehr als 300 Potsdamer den Erhalt und die Unterschutzstellung in einem Bürgerfest vor der Rest-Mauer. Schauspieler, Filmemacher, Autoren, Redakteure und Pfarrer lesen Texte über Mauertote und Flüchtlinge. Die Babelsberger Pfarrerin Wernick segnet den Ort. Der rbb überträgt live, die Zeitungen berichten ausführlich. In einem Heft zur Veranstaltung schreiben Rolf Henrich, Alexandra Hildebrandt, Klaus Arlt und Sibylle Schönemann - und Matthias Platzeck: »Heute sind die Spuren dieser Grenze weitgehend verschwunden. Die wenigen Reste können den Schrecken und die Brutalität des Grenzregimes nicht reproduzieren, sie lassen sie allenfalls erahnen. Sie können helfen, die Erinnerung an Geschichte wach zu halten, Denkprozesse auszulösen und zur Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur beizutragen, und müssen stehen bleiben.«
Um 5vor12 das Wort zur rechten Zeit. Der anschließend mit der Gestaltung des Ortes zur Gedenkstätte beauftragte Landschaftsarchitekt Theseus Bappert
findet die Betonteile in desolatem Zustand vor. Am 9.November 2009 beginnt der 1. Potsdamer MauerVerLauf in der Stunde der Fertigstellung und erinnert seitdem an jedem 13. August an die deutsche Teilung und ihre Überwindung.
Die Bemalung durch Kiddy Citny Am 8. September diesen Jahres bemalt Kiddy Citny die Rückseite der Mauergedenkstätte, vulgo: die sechs Betonteile, mit Herzköpfen. Wie schon 1986 die Westseite der Mauer in der Waldemarstraße in Kreuzberg. Das ist nicht nur verboten, es ist arrogant und selbstverliebt, es ist vor allem historischer Unfug und trotzdem oder deswegen der Rede wert. Hätte Kiddy Citny vor 1989 diese Mauer bemalen wollen, wäre er vor dem ersten Pinselstrich schon tot gewesen. Natürlich ist keine Gedenkstätte auf ewig tabu. Siehe Neue Wache in Berlin.
Auch hatte die Mauer, als wir am 9. November 2007 das Holzkreuz davor aufstellten, überhaupt keine Rückseite, jedenfalls war sie wegen des Wildwuchses nicht zugänglich. Nach der Gestaltung hat sie eine und Mr. Citny hat uns daran erinnert: »Ich bitte im Interesse der Allgemeinheit und der Opfer darum, die
Gedenkstätte von der West-Seite, vom Wasser her, deutlich sichtbar zu machen durch Vorschläge der Betroffenen, durch Künstler, durch Kunst.« Darauf wird zu reagieren sein. Mit Sicherheit nicht bunt, jedenfalls solange nicht, wie noch Menschen leben, denen die Mauer das Leben nahm und denen es egal sein konnte, ob ihr Gefängnis von außen mit Herzen bemalt war.
Mit dem Potsdamer MauerVerlauf haben wir das rituelle Klage-Anklage-Gedenken üblicher Veranstaltungen verlassen und vertrauen auf die emotionale und anhaltende Wirkung von Kultur und Kunst. Das macht auch Kiddy Citny: »Für mich hat Kunst als höchste Form der Kommunikation den Auftrag, möglichst viele Menschen zu erreichen…bei meiner Aktion…wollte ich ein Zeichen gegen Egoismus und Intoleranz setzen…«
Der Erste unter den Potsdamer LINKEn, Dr. Scharfenberg, vermutet an jedem 13.August, dass die DDR ohne Mauer noch wunderbarer gewesen wäre. Wahrscheinlich würde er aber in einem Diskurs mit Kiddy Citny doch ein bisschen Mauer erlauben, nur zum Bemalen, nicht zum Totschießen. Ein bisschen bunte Mauer ist nämlich totchic. So steht sie als kolossaler Gartenzwerg vor der Villa Schöningen (Foto unten), in Vorgärten auf der ganzen Welt und als Eastside-Gallery in Ost-Berlin.
Die Mauermalerei
Letzthin haben sich Ost-Rock-Gruppen zur Konzert-Vermarktung vor der Eastside-Gallery knipsen lassen. Diese gigantische Fälschung auf 1300 Metern Länge haben Ost-Grenzer nach der friedlichen Wende initiiert. Nachdem die Ostseite der Mauer am Grenzübergang Potsdamer Platz mit DDR-feindlichen Losungen beschrieben wurde, boten sie die Mauer entlag der Mühlenstraße im Bezirk Friedrichshain als Ersatz an, eine Werbeagentur vermarktete das Projekt.
Diese ›längste Freiluft-Galerie der Welt‹ ist nun der falsche Rest ›der längsten Kunstleinwand der Welt‹, die wir als Berliner Mauer mit Todesstreifen kennen.
Natürlich konnte man sie auch anders wahrnehmen. ›…folgte selbst die Mauer mit ihrer Dreiteilung in Sockel, Wandfläche und Betonrolle als Kapitell der tradierten, in der Antike wurzelnden Säulenordnung.‹ Und man konnte sie bekritzeln, was Kinder und Touristen auch taten, bis die Mauer-Tempel-Herren die Westseite um 1980 homogen weiß tünchten, Steilvorlage für die Parolen der Hausbesetzer und peu à peu für die Tätowierung der gesamten Mauer. Ab Mitte der 80er Jahre, auffallend parallel zur Perestroika, wurde die Westseite der Mauer bunt gemalt. Sie wurde ins Alltagsleben integriert, indem man sie bemalte, sagte Walter Momper. Man kann auch sagen, sie war inzwischen als unvermeidbar akzeptiert. Thierry Noir und Keith Haring stritten um Malflächen, Richard Hambleton und Kiddy Citny malten ihre schönen Botschaften von Freiheit und Liebe, im Wesentlichen drängelten sich aber Comics mit Banalem unter der Betonrolle. Das gefiel nicht allen. Ab und an übermalten die Grenzer oder SEWler etwas und einmal, 1986, wurde die Mauer zwischen Potsdamer Platz und Mariannenplatz weiß durchgestrichen. Ausgebürgerte Friedensaktivisten aus Weimar wollten damit die ›Mauerkunst‹
auslöschen. »Die Mauer als ›achtes Weltwunder‹, als Wahrzeichen Berlins, als lüstern bestauntes buntgruseliges Kuriosum war ihnen ein Dorn im Auge.« (siehe auch: Der weiße Strich. Ch.Links-Verlag)
Damit zurück zur bis zum September verschonten Mauer am Griebnitzsee. Ausblick und Lösungsansatz Würde die Bemalung gegen Recht und historische Vernunft sanktioniert, müsste die Stadt für deren Unterhaltung aufkommen. Im Fall der Eastside-Gallery kostete das den Steuerzahler 2,5 Mill. EUR.
Außerdem würde die weitere Bemalung auf der Vorderseite damit provoziert. Bislang war die Mauergedenkstätte kein Problemfall. Es konnte in Ruhe der Toten gedacht werden, 17 Namen sind auf der kleinen Tafel zu lesen, mitunter knieten Besucher vor dem Kreuz.
Alle anderen Gedenkstätten und Denkmale sind in der Stadt zu Problemfällen unterschiedlicher Art und Größe geworden. Voran die Leistikowstraße, auch die Lindenstraße, das Deserteur-Denkmal, das Einheitsdenkmal Prof. Mielkes, das SED-Denkmal auf dem nach der Zwangsvereinigung von KPD und SPD benannten Platz der Einheit.
›Das Opfer‹ im Gefängnishof und die ›Nike‹ an der Glienicker Brücke sind als gültige Darstellungen von Unterdrückung und Befreiung allgemein akzeptiert. Beides Initiativen der Fördergemeinschaft Lindenstraße 54. Wie auch der Potsdamer MauerVerLauf, inzwischen in Kooperation mit der Stadt und dem BStU.
Im Anschluss an den MauerVerLauf 2010 und 2011 fragten MAZ und PNN nach neuen Vorhaben. Wir haben geantwortet: die Komplettierung der Mauergedenkstätte am Griebnitzsee mit der historisch korrekten Abweiserrolle, damit sie eindeutig als DIE MAUER verstanden werden kann. Der Gestalter der Gedenkstätte Theseus Bappert hat bereits die mündliche Zusage der Denkmalbehörde, dass der Ergänzung stattgegeben werden kann, wenn wir die Originalteile beschaffen. Wegen ihrer Asbest-Belastung wurden die Rollen nach 1990 schnell und gründlich entsorgt. Wir haben Hinweise der Gedenkstätte Hötensleben in Sachsen-Anhalt zum eventuellen Verbleib von originalen Abweiserrollen.
Als Ergebnis der gegenwärtigen Debatte um die Mauergedenkstätte wäre die Unterstützung der Stadt wünschenswert.
Bob Bahra
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