Lesermeinung: Brandenburger Vorzeigevogel macht in den Westen
Großtrappen fliehen vor der Kälte, 12.1.
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Großtrappen fliehen vor der Kälte, 12.1. Nun glaubte ich bisher, unser schönes Land Brandenburg wird zunehmend durch arbeitssuchende, gen Westen ziehende, junge Frauen entvölkert und die wilde ungebremste Natur macht sich im Besonderen auf dem flachen Lande wieder breit. Man soll ja auch schon wieder den schafshungrigen gemeinen Wolf in unserer Gegend beobachtet haben. Nun kommt es noch schlimmer! Wie der regionalen Journaille zu entnehmen war, begibt sich auch unsere beliebte Großtrappe in den goldenen Westen. Welch undankbarer Vogel. Wie zu lesen war, haben mindestens acht der eigentlich standorttreuen Tiere ihre Reviere im westlichen Brandenburg verlassen. Gesichtet wurden sie bei Braunschweig und bei Paderborn. Die Tiere sind auf der Flucht, weil sie unter der dicken Schneedecke nicht mehr genügend Nahrung finden. Der ungewohnte Vogelzug birgt für sie besondere Gefahren: Weil die Trappen sich in der Fremde nicht auskennen, können sie leichter gegen eine Stromleitung fliegen. Einige Tiere würden später auch den Weg zurück in die Brutreviere nicht mehr finden. Wegen der Winterflucht befürchtet der Vogelschützer negative Auswirkungen auf die Gesamtpopulation der extrem seltenen Vögel. Wir erinnern uns: Für die Brandenburger Großtrappen wurde in den 90er Jahren, nach mehrjährigem Streit zwischen Vogelschützern und Planern des ICE-Streckenausbaus westlich von Berlin, 23 Millionen DM für sieben Meter hohe Schutzwälle beiderseits der Bahnstrecke ausgegeben. Zum Planungszeitpunkt wurden etwa 20 Exemplare dieser seltenen Vögel in Nähe des Baugebietes ausgemacht. Das macht rein rechnerisch mehr als eine Million DM pro Trappe. Wobei wir Steuerzahler noch mit einer Billigvariante davon gekommen sind. Es wurde auch der Bau eines sechs Kilometer langen Tunnels für rund eine Milliarde DM in Erwägung gezogen. Da wünschte sich so mancher Sozialhilfeempfänger die Reinkarnation als Brandenburger Großtrappe. Zumindest, was das Finanzielle anbetrifft. Jahre später, noch unmittelbar vor dem Baubeginn konnte man an der Bahntrasse verzweifelt Eier suchende Vogelschützer beobachten, die den Streckenausbau, trotz inzwischen erfolgten amtlichen Planfeststellungsbeschlusses zu verhindern suchten. Ergebnislos. Der größte Teil dieses seltenen Vogels war zwischenzeitlich in andere Brandenburger Regionen umgezogen. Nicht etwa wegen des Baulärms entlang der Bahntrasse, die Blaumänner hatten natürlich während der Brutzeit ihre Presslufthämmer ruhen lassen. Nein, vermutlich hatte unsere Trappe von dem permanenten Streit zwischen Gleisbauern und Umweltschützer gestrichen den Schnabel voll und hat sich in seiner Vogelhaut nicht mehr recht wohlgefühlt und folglich das Weite gesucht.
Als fleißiger Steuerzahler war ich schon damals sehr entrüstet, dass uns dieser Brandenburger Vorzeigevogel so in die Pfanne gehauen hat. Über 20 Millionen in den Wind. Da pumpt man so viel Geld in den Osten und nun das, werden die West-Vögel zwitschern. Nur weil der uns so lieb und teuer gewordener Riesenvogel mit dem durch die Medien hochgepuschten Wintereinbruch nicht klarkommt, nun der hastige Umzug in den Westen – unglaublich! Da hätte der winteruntaugliche Vogel doch seinerzeit in den 90ern gleich ans Mittelmeer ziehen können. Nach meiner Erinnerung zeichnet sich unsere Brandenburger Trappe durch ein bis zwei besondere Federn in ihren Flügeln aus. Man kann nur hoffen, dass wenigstens auch bei den westdeutschen Artgenossen unserer undankbaren Brandenburger Großtrappe die Entrüstung so groß ist, dass sie ihr im Westen, zumindest ihre brandenburgtypischen Erkennungsfedern, laut schnatternd aus den Flügeln zupfen werden. Vielleicht sollten sich auch unsere Vogelschützer im Verein mit Politikern und Sozialverbänden zusammentun um neben Wärmestuben für Obdachlose auch solche für bedürftige Brandenburger Großtrappen, mit integrierten Futterstellen versteht sich, einzurichten. Und auch die sichere Rückkehr in die Brutreviere wäre leicht lösbar: Nicht zuletzt angesichts der rapide fallenden Preise auf dem Elektronikmarkt müsste sich auch noch ein kleines Milliönchen für Entwicklung und Anwendung entsprechender Großtrappen-Navis locker machen lassen. Installation am Vogel einschließlich Ersteinweisung vor Ort werden ja wohl unsere Umweltschützer im Ehrenamt erledigen. Das sollte ihnen der Artenschutz doch wohl wert sein! Eine Frage ist mir jedoch bis heute völlig schleierhaft: Wie konnte beim Sturmtief „Daisy" dieser Riesenvogel unbeschadet in den Westen Deutschlands kommen? Doch nicht etwa mit der Bahn?
Frank Gyßling, Potsdam
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