Lesermeinung: DDR-Umfrage: „Da wurde vieles vergessen“
Zu: „Brandenburger betrachten DDR nicht als Unrechtsstaat“, 9.12.
Stand:
Zu: „Brandenburger betrachten DDR nicht als Unrechtsstaat“, 9.12. 2011
Mit Unverständnis habe ich auf die Umfrage-Studie in Brandenburg reagiert, wonach 73 Prozent der Brandenburger die DDR positiv sehen. Da wurde dann wohl vieles übersehen: vergessen, dass Menschen wegen einer anderen politischen Meinung, wegen des Gestaltenwollens anderer Lebensentwürfe, nicht selten politisch bedrängt worden sind. Vergessen, dass die Staatssicherheit im Auftrag der SED kritische DDR-Bürger bespitzelte, deren Umfeld nicht selten zersetzte, hartnäckig politisch Andersdenkende vor eine politischen Strafjustiz stellte. Vergessen, dass genau diese Staatssicherheit, wenn sie Menschen in ihre Gewalt brachte, die sich dem kollektivistisch-sozialistischen Mainstream entziehen wollten, in ihren Stasi-U-Haftanstalten demütigte, erniedrigte und quälte, und nach herbeikonstruierten Urteilen viele dieser Menschen zu Haftstrafen verurteilen ließ. Vergessen, dass in diesen unmenschlichen Zuchthäusern (zum Beispiel Zuchthaus Cottbus, Bautzen II oder das Frauen-Zuchthaus Hoheneck) politische Gegener, nach diesen Unrechtsurteilen, unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten und „leben“ mussten, nicht wenige von den damals politisch Inhaftierten bis heute traumatisiert sind. Vergessen, dass an den Grenzen der DDR und an der Berliner Mauer Menschen ermordet wurden, weil das unsozial-kaltherzige DDR-System es nicht zugelassen hatte, dass diese Menschen in selbstbestimmer Freiheit leben durften. Vergessen, dass dieser DDR-Unrechtsstaat genau das war: nämlich ein Unrechtsstaat, weil er so viele Unmenschlichkeiten politisch organisiert hatte.
Einen Schlussstrich unter die DDR-Vergangenheit zu ziehen, wie es 60 Prozent der Brandenburger sich wünschen, würden sich die Stasi-Vernehmer, die Zuchthausaufseher und andere Leute, die von diesem Unrechtsstaat DDR profitierten, sehr gern wünschen. Ja, auch ich möchte endlich einmal in die Zukunft schauen, aber meine DDR-Vergangenheit steht mir dabei im Wege.
Hierzu aufgeschriebene Gedanken an „meine“ DDR: Was macht erlittene physische und psychische Gewalt, was macht Entwürdigung mit einem Menschen, der 25-jährig von einem auf den anderen Tag in diese kaum zu beschreibende Stasi-Bedrohung gerät, der nicht begreift, wenn er diese permanenten Transporte in Handschellen über sich ergehen lassen muss, der getreten wird, der sich gegen die Spritzen eines Stasi-Arztes im Haftkrankenhaus nicht wehren kann, der dann, in der Zuchthaus-Hölle Cottbus angekommen, da schon kaum noch Würde mehr besitzt, erneut neue Quälerei über sich ergehen lassen muss.
Gerd Hetsch, Berlin
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