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Lesermeinung: Pro und Contra zum „Forum Alltagskultur in Potsdam“

’Platz für die Brüche’, 18.3.

Stand:

’Platz für die Brüche’, 18.3. 2009

Ein weiteres Museum zum DDR-Alltag ist überflüssig. Wer wissen will, aus welchen Tassen man 1953 „Röstfein“ trank, erfährt das in zahlreich vorhandenen Alltagsmuseen von Berlin über Eisenhüttenstadt bis Greiz. Dass die Landesregierung, die ja bisher nicht gerade eine Führungsrolle bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte übernommen hat, jetzt Zuschüsse davon abhängig macht, dass der Alltag endlich im Kontext der SED-Diktatur dargestellt wird, zeigt, wo das Problem bei diesen Museen liegt. Hervorragend gelungen ist das im DDR-Museum in Berlin-Mitte. Was bei der öffentlichkeitswirksamen DDR-Aufarbeitung völlig ausgeblendet wird, ist die Wirtschaft. Dabei lernte man schon im Marxismus-Grundkurs, dass das Thema nicht unwichtig ist. Wo erfährt man, dass bei 60 Mark Monatsmiete für eine Dreizimmer-Komfort-Wohnung kein Kapital für Wohnungsbau, Altbaurenovierung oder Energiesparmaßnahmen gebildet werden kann? Dass ein Kombinat zwar seinen (möglichst niedrigen) Mengenplan erfüllt oder übererfüllt, aber nicht über sinnvolle Investitionen, effizienten Arbeitkräfteeinsatz, nachhaltige Produktionsweise entscheiden kann? Dass der Broiler in der HO-Gaststätte weniger kostete als in der Fleischerei, dass eine gigantische Planbürokratie nötig war? Wenn die von der Planbehörde festgelegte Menge an Fotokopierpapier aufgebraucht war, fuhr man zum Klassenfeind nach Westberlin und holte Nachschub. Ministerien haben aus ihren Haushaltsmitteln für ihre Minister, manchmal auch für die geschiedene Gattin, Häuschen gebaut, in denen von der Türklinke bis zur Waschmaschine alles aus dem Westen stammte, und den Farbfernseher gab es zu einem Viertel des offiziellen Verkaufspreises obendrauf.

Die DDR hatte als einziges Ostblock-(RGW-)Land über Westdeutschland zollfreien Zugang zum EU-Binnenmarkt und im Interzonenhandel einen zinslosen Überziehungskredit. Millionen verdiente man mit Gefangenenfreikauf und Industriespionage. Dennoch war der Staat nach 40 Jahren pleite. Für Museumsmacher und Museumspädagogen müsste es eine Herausforderung sein, eine chaotische Zentralverwaltungswirtschaft anschaulich aufzubereiten. Mit digitalen Simulationsspielen lässt sich nachspielen, dass ein Wirtschaftssystem, in dem Geld und Kosten keine Rolle spielen, nicht nur an den vier Jahreszeiten scheitert. Der „größte“ und teuerste Chip der Welt gehörte in dieses Museum und nicht nach Bonn, wo er jetzt ist. Das Rechenzentrum ist ein hervorragender Ort dafür. Mit welchen Zahlen wurde dort gerechnet? Was hatten die mit der Realität zu tun? Und für Potsdam, das mit seinen Hochschulen für den Herrschaftsapparat der SED eine bedeutsame Rolle spielte, wäre ein anspruchvolles „Museum der Planwirtschaft“ angemessener als eine weitere Ausstellung von Trabbis, Pionierhalstüchern und Plasteeierbechern.

Günter Schlamp, Potsdam

Für ein „Forum Alltagskultur“ in Potsdam

Der Vorschlag von Professor Sabrow, in Potsdam und in Kooperation mit Eisenhüttenstadt ein „Forum Alltagskultur“ zu schaffen, verdient uneingeschränkte Zustimmung. Wie im Entwurf des Kulturministeriums für „Erinnerungsorte in Brandenburg“ hervorgehoben wird, wendet sich die Einrichtung in Eisenhüttenstadt gegen eine ostalgische Verklärung. Sie zeigt anhand von Alltagsobjekten unterschiedliche Aspekte aus dem Leben der DDR, vom Wohnen über Schule und Freizeit, und spricht dabei zugleich politische, wirtschaftliche sowie soziale Rahmenbedingungen an. Dies alles geschieht wissenschaftlich fundiert und zugleich gut didaktisch aufbereitet. Ein Besuch in Eisenhüttenstadt lohnt sich auf jeden Fall. Da aber die Finanzierung des Museums wenig gesichert erscheint und viele die Fahrt nach Eisenhüttenstadt scheuen, bietet es sich an, in der Landeshauptstadt ein „Forum Alltagskultur“ einzurichten. Es ist eine gute Möglichkeit, Kinder und Jugendliche an die Erinnerungskultur heranzuführen. Bei aller Zustimmung zum Vorschlag als solchem bin ich irritiert über den Standort „Rechenzentrum“, der für die Garnisonkirche benötigt wird. Ein Alternativstandort müsste sich in der Innenstadt befinden, damit gerade die Alltagskultur im Rahmen des Erinnerungskonzepts nicht „an den Rand gerückt“ wird.

E. Chwolik-Lanfermann, Potsdam

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