Lesermeinung: Runder Tisch für die Gedenkstätte Leistikowstraße gefordert
Zu: „Gedenkstätten im Halbschlaf“, 5.11.
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Zu: „Gedenkstätten im Halbschlaf“, 5.11. Und: „Gedenken im Interimsbetrieb“ 18.11.
Die Berichte können nur Bestürzung auslösen. Die Gedenkstätte kann nur an Wochenenden (und von Gruppen mittwochs) besucht werden, eine Ausstellung gibt es nicht und Veranstaltungen, etwa mit Zeitzeugen, finden nicht statt. Argumentiert wird, die Gedenkstätte selbst sei das Hauptexponat, die früher dort gezeigte Ausstellung inzwischen „unansehnlich“ und nicht mehr dem aktuellen Forschungsstand entsprechend, für Zeitzeugengespräche fehle der Platz. Eine neue Ausstellung gebe es nicht vor 2011. Man ist versucht, darauf ebenso zynisch zu antworten, dass sich dieses „Problem“ für die Gedenkstätte bis dahin erledigt haben könnte: Zeitzeugengespräche auf eine unbestimmte Zukunft aufzuschieben, ist angesichts des Alters der Zeugen unverantwortlich. Ebenso frappierend ist, dass die Ausstellung von Memorial der Stiftung nicht bekannt scheint. Ich habe sie vor kurzem gesehen, da war sie nicht unansehnlich. Sie wird im Potsdam Museum gelagert. Die Behauptung, sie sei „auf Zeitzeugenberichte ehemaliger deutscher Häftlinge fokussiert und beachte andere Quellen nur wenig“ beweist, dass die Stiftungsvertreter weder die Ausstellung kennen noch über die Situation hinsichtlich der Quellenlage orientiert sind. In der Ausstellung werden durchaus Biografien sowjetischer Häftlinge vorgestellt. Es ist zu bedauern, dass es nicht mehr waren. Die Akten der sowjetischen Häftlinge befinden sich im Archiv für Spionageabwehr der Sowjetischen Streitkräfte. Diese Akten sind prinzipiell unzugänglich. Dies ist ein unbestreitbarer Mangel jener Ausstellung und wird es auch künftiger Ausstellungen bleiben, es sei denn, in Russland würden die Archive für Spionageabwehr geöffnet. Es ist mir unverständlich, weshalb man, solange es keine neue Ausstellung gibt, nicht auf diese vorhandene zurückgreift. Die für die Mitarbeiter der Gedenkstätte anstehende Grundlagenforschung ist durchaus schon geleistet worden, ihnen selbst scheinen aber elementare Grundkenntnisse zu fehlen.
Thomas Ammer, Euskirchen
Zu: „Gedenken im Interimsbetrieb“
Sollte man bei so viel Dissens vorläufig den Namen „Gedenk- und Begegnungsstätte“ in doppelte Anführungszeichen setzen? Warum wird immer wieder nach der vergangenen Memorial-Ausstellung gefragt? Hat man sich die inhaltlich stets auf den letzten Stand der Forschung gebrachte und sorgfältig betreute Ausstellung so wie die sofort aufstellbaren Stelen überhaupt angesehen? Oder gehören Kritik und Ablehnung des Vorgefundenen einfach zum rechtfertigenden Vokabular des Neuanfangs? Soll durch das Zauberwort „Grundlagenforschung“ die Demontage der bisher geleisteten Forschungsarbeit erreicht werden? Hat man vergessen, dass die Errichtung der Gedenkstätte (Sanierung, Neubau, Anstellung eines beachtlichen Mitarbeiterstabes) ohne die Arbeit der Bisherigen und das Engagement der Ehrenamtlichen - nicht möglich war?
Ist der Neubau nur Lager- und Werkstattraum für die Forschung und Vorbereitung der neuen Ausstellung? Die Vertreter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten sollten doch mehr in den Veröffentlichungen der letzten zehn Jahre zum ehemaligen KGB-Gefängnis Potsdam lesen oder zumindest die Liste der Veröffentlichungen betrachten. Auch müsste man zur näheren Information und nachträglichen Vertiefung den Besuchern wenigstens die vorhandene Literatur und die bisher erschienenen Erinnerungen der ehemaligen Häftlinge im Besucherzentrum anbieten – wie es in Gedenkstätten üblich ist. Ist nicht in der Öffentlichkeit und in Publikationen stets bedauernd von der Unmöglichkeit des Zugangs zu den Akten der Militärspionageabwehr in Russland gesprochen worden? Bestehen denn begründete Aussichten, dass die Lage jetzt besser ist? Ist es nicht in höchstem Maße zynisch, die Zeitzeugengespräche und damit eine Hauptaufgabe der Gedenk- und Begegnungsstätte einer falsch verstandenen Wissenschaftlichkeit zu opfern? Wird hier eine ganz bewusste Geschichtspolitik betrieben? Werden jetzt russische und deutsche ehemalige Häftlinge gegeneinander ausgespielt?
Wo bleibt das Gedenken im Interimsbetrieb der Gedenkstätte? Wie verträgt sich die Behauptung des Sprechers der Stiftung, dass die beiden Vereine „keinen Einfluss auf Entscheidungen“ mehr haben, mit der in der Stiftungssatzung formulierten Aufgabe, wonach der „Beirat“ – zu dem auch Vertreter von Memorial und Förderverein gehören – das Kuratorium in fachlichen Fragen berät?
Gisela Kurze, Memorial Deutschland, Berlin
Zu: „Gedenkstätte im Halbschlaf“
5.11. 2009
Mit der Entwicklung der Gedenkstätte hin zu einem professionellen Museumsniveau gelten andere Maßstäbe. Jetzt gilt es, nicht nur – wie bisher – die Opfer zu Wort kommen zu lassen, sondern, die gesamten Umstände zu beleuchten. Das bedeutet auch, die Situation der Täter in den damaligen politischen Kontext zu stellen. Natürlich dürfte es schwierig sein, dazu erforderliches Material aus der damaligen Sowjetunion zu bekommen. Ich weiß, wovon ich rede: Nach über einjähriger Forschungsarbeit gelang es meiner Familie, eine Kopie der Lagerakte meines in sowjetische Kriegsgefangenschaft geratenen Vaters zu erhalten. Die vollständige Umsetzung eines derart anspruchsvollen Themas, das auch heutigen wissenschaftlichen Kriterien genügen soll, bedarf einer angemessenen Zeit. Das wesentliche Exponat der Gedenkstätte, das eigentliche Gefängnis, ist übrigens dreimal pro Woche geöffnet. Für einen authentischen Eindruck ist das schon sehr wertvoll.
Ich finde es deutlich peinlicher, dass ausgerechnet die geschichtsträchtige Stadt Potsdam seit 1995 über kein richtiges Stadtmuseum mit einer stadtgeschichtlichen Dauerausstellung verfügt, obwohl hier 200 000 Ausstellungsgegenstände existieren.
Klaus Hellenthal, Potsdam
Zu: „Gedenkstätten im Halbschlaf“, 5.11. Und: „Gedenken im Interimsbetrieb“ 18.11.
Warum entwickelt sich so eine Pro- und Kontra-Haltung, die unversöhnlich scheint. Gedenkstättenleitung und Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten meinen, einen Alleinvertretungsanspruch auf ihre museumspädagogische Auffassung postulieren zu können und schließen jeden demokratischen Meinungsbildungsprozess darüber aus. Derartiges sollte doch endlich überwunden sein.
Was ist denn im Artikel vom 5.11. so verwerflich ? Es wurde nur der Ist-Zustand geschildert, wie er sich dem unvoreingenommenen Besucher darstellt. Der Autor hat seit Öffnung der Einrichtung die Entwicklung verfolgt und muss sich nach der interimsmäßigen Öffnung wundern, was bis jetzt erfolgt, oder besser, nicht erfolgt ist. Während der Interimsphase, die jeder neuen musealen Gedenkstätte zuzubilligen ist, ist es sinnvoll und pragmatisch, bisherige in der Aussage unstrittige Ausstellungsobjekte -nämlich die exakt recherchierte Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“, vor allem die Biographie-Stelen inhaftierter deutscher und auch sowjetischer Menschen zu präsentieren. Welche Gründe gibt es dagegen? Die Ausstellung als handgemachtes Goodwillprodukt zu diffamieren, ist infam – sie ist nicht abgenutzt und gibt den Besuchern vorübergehend die Möglichkeit, sich umfassend über die Geschichte des Hauses zu informieren. Inhaltlich kann eine neue Ausstellung nicht zu wesentlich anderen Aussagen kommen. Auch die derzeit verwendeten Besucherführungsmaterialien sind nach meiner Kenntnis ausschließlich von Memorial Deutschland erarbeitet worden. Wie ist zu verstehen, dass einerseits die von Memorial erstellten Dokumentationen in Anspruch genommen werden, aber die Biografie-Stelen nicht wieder aufgestellt wurden?
Für die Zeitzeugen ist dieser Hick-hack der Interpretations-Diskussion um die künftige Konzeption der Gedenkstätte bedrückend und enttäuschend. War das Schicksal der noch lebenden Zeitzeugen von 1945 bis 1990 ein absolutes Tabu im Osten Deutschlands, so werden sie im 65. Jahr nach Kriegsende wieder an den Rand gedrückt. Fazit : Im demokratischem Meinungsbildungsprozess bei diesem so sensiblen, mit Trauer und Schmerz verbundenen Geschichtsort, ist ein „Runder Tisch“ zu fordern! Gedenkstätten, Stiftung, Zeitzeugen, Memorial Deutschland und Förderverein sollen sich zusammen setzen, um so emotionsarm wie möglich die gegenseitigen Vorstellungen, Ideen, Wünsche auszutauschen. Die Gedenkstätten-Stiftung sollte als Träger der Einrichtung ihr sicher langjährig (?) angelegtes Konzept offen darlegen und zur Diskussion stellen!
Es wäre fatal, wenn kein Konsens gefunden wird. Wie können wir uns dann vor den Opfern rechtfertigen?
Dr. Christian Richter, Berlin
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