Lesermeinung: Umstrittenes Konzept für ehemaliges KGB-Gefängnis
Gedenkstätte im Halbschlaf, 5.11.
Stand:
Gedenkstätte im Halbschlaf, 5.11. 2009
Die Gedenkstätte Leistikowstraße wurde im Frühjahr nach zweijähriger Sanierung im Interimsbetrieb eröffnet. Eine vollständige Öffnung war von Beginn an erst nach der Erstellung einer Dauerausstellung vorgesehen. Dafür sind umfangreiche wissenschaftliche Recherchen in deutschen und vor allem russischen Archiven sowie die Ermittlung von Zeitzeugen und deren sorgfältiger Befragung notwendig. Ein interessante aber auch angesichts des engen Zeitrahmens schwierige Aufgabe, zu der man dem kleinen Team nur viel Erfolg und konstruktive Unterstützung wünschen kann. In diesem Tenor äußerte sich auch die PNN im Frühjahr diesen Jahres. Um so verwunderter war ich, dass der oben genannte Artikel eine völlig andere Richtung einschlug und ein anderes Tempo vorgab. Dass die Rote Armee mit ungeheurem Blutzoll den östlichen Teil Deutschlands vom Nationalsozialismus befreite und dann bis 1993 als Besatzer blieb, hatte seinen Ursprung im von Deutschland angezettelten und dann verlorenen Zweiten Weltkrieg. Auch dass während des Kalten Krieges auf beiden Seiten einen breiten Missbrauch von Personen gab, ist mittlerweile unbestritten. Erschreckend oft wurden in der sowjetischen Besatzungszone Todesstrafen bis 1954 unter faktischem Kriegsrecht ausgesprochen. Vor 15 Jahren öffneten sich die Tore der einst verbotenen Stadt in Potsdam. Wer wie ich damals die Gegend besuchte, dem wurde deutlich vor Augen geführt, dass die Geschichte des ehemaligen Gefängnisses nicht ohne die Geschichte des ehemaligen Sperrgebietes Nr. 7 erzählt werden kann. Ich erwarte eine Ausstellung zur Gedenkstätte welche Opfer- und Täterperspektiven und einer möglichst umfassenden und präzisen Darstellung des zeitgeschichtlichen Kontextes Raum gibt. Dazu muss geforscht werden. Sorgfalt vor Eile! Das wünsche und erwarte ich von einer modernen Gedenkstätte.
Frank Reich, Potsdam
Geschulte Mitarbeiter gehören zum internationalen Standard
Es ist bedauerlich, dass sich die PNN mit dem polemischen und unreflektierten Beitrag zum Sprachrohr derjenigen Kräfte macht, die eine Professionalisierung der Gedenkstätte Leistikowstraße verhindern wollen. Zu dieser Professionalisierung, die dem international gängigen Standard einer Gedenkstätte entsprechen soll, gehört es gerade nicht, ehrenamtliches Personal für Führungen einzusetzen, sondern geschulte Mitarbeiter, die den Besuchern ein möglichst wissenschaftlich fundiertes und gesichertes Wissen präsentieren. Ich habe mittlerweile an drei Führungen nach der Neueröffnung der Gedenkstätte teilgenommen und war gemeinsam mit den anderen Gästen jedes Mal nachhaltig beeindruckt, wie dieser schreckliche Ort von den Führungskräften sachlich und würdevoll gezeigt und kenntnisreich erläutert wurde – ohne jede Überwältigungspädagogik und doch klar in der Aussage. Das Haus spricht auch mit der derzeitigen Lösung – Besichtigung nur mit Führung – für sich und bedarf in dem derzeitigen Stadium keiner weiteren Erläuterung. Das – im Übrigen ja nicht auf Dauer - angelegte Konzept einer Teilöffnung war ein Risiko, funktioniert aber aus Sicht vieler Fachleute hervorragend.
Dass die Gedenkstätte derzeit nur an den Wochenenden geöffnet wird, ist ein Kompromiss; die Alternative wäre gewesen, das Haus bis zur Erarbeitung der ständigen Ausstellung geschlossen zu halten. Die Erarbeitung einer Ausstellung erfordert neben den Aussagen der Zeitzeugen eine Quellenarbeit in den russischen und deutschen Archiven, die nicht ganz einfach ist und Personal und Raumkapazitäten bindet. Das Potsdam-Museum wird beispielsweise im Jahr 2011 seine Ausstellungsräume schließen, um die Bestände zu sichten und die ständige Ausstellung zur Stadtgeschichte im neuen Haus vorzubereiten. Dass diese mühsame, weil professionelle Quellenarbeit als „Halbschlaf“ verbrämt wird, spricht für die Grundhaltung derjenigen, die die Arbeit der Gedenkstätte in der Leistikowstraße aus verletzter Eitelkeit oder anderen unklaren Gründen torpedieren wollen. Sie erwiesen ihrem Grundanliegen damit einen Bärendienst und gießen damit Wasser auf die Mühlen derjenigen, denen das Gefängnis in der Leistikowstraße ein Dorn im Auge ist.
Markus Wicke, Potsdam
Auf das Ergebnis gespannt
Ich kenne die Gedenkstätte noch im alten Zustand und habe sehr ambitionierte Menschen getroffen, die mir viel Wissenswertes über die damalige Zeit erzählen konnten. Allerdings befand sich das Gebäude in einem sehr schlechten Zustand und eine professionelle Ausstellung war nicht vorhanden. Das wurde mit dem großen Engagement der freiwilligen Helfer teilweise ausgeglichen. Jetzt ist das Museum in neuen Händen und für mich als Laien ist schon viel passiert. Es bedarf einiger Zeit, eine Ausstellung über dieses wichtige Thema neu aufzubauen und zu gestalten. Als Fan des DHM in Berlin ist es mir wichtig, auch in Potsdam die Geschichte mit Professionalität aufzuarbeiten, um Missverständnisse und Fehlinterpretationen auszuschließen. Wann es soweit sein wird kann uns sicher nur die Gedenkstättenführung beantworten, ich bin in jedem Fall auf das Ergebnis gespannt.
Karoline K.-Jentzsch, Potsdam
„Ein handgemachtes „Goodwill-Produkt“
mit Verwunderung habe ich den „Halbangriff“ in den PNN auf das Museum in der Leistikowstraße gelesen. Sie beschreiben darin die vor Jahren vom Verein erstellte Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“ als außer jeder Frage stehendes wissenschaftlich hochwertiges Produkt.
Ich selber konnte mir ein Bild von dieser Arbeit machen und hatten einen anderen Eindruck: Ein handgemachtes „Goodwill-Produkt“ war da zu sehen, was sich nach weiterer Ausarbeitung und Unterstützung sehnte. Das Team der Gedenkstätte hat erst vor wenigen Monaten begonnen, ein neues Konzept für diesen Ort der Erinnerung und des Gedenkens zu erstellen und es in die Tat umzusetzen.
Das braucht Zeit, Geduld und Unterstützung. Genau diese Unterstützung und Motivation nehmen sie den Wissenschaftlern vor Ort, wenn sie diese mit Ihrem Artikel in Rechtfertigungs-Scharmützel hineinziehen. Nach so wenigen Monaten seit dem Dienstantritt der Wissenschaft in der Leistikowstraße können Sie doch noch keine fertige Ausstellung erwarten!
Geschichte ist am Ende auf allen Feldern mühselige Puzzlearbeit. Geben Sie dem Team in der Leistikowstraße bitte Zeit, diese Arbeit seriös zu leisten!
K. Sensenhauer, Potsdam
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