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Meinung: NMD-Auseinandersetzung: Ein Schirm mit Charme

Russland ist keine Supermacht mehr. Es lebt mehr von der Erinnerung an die ehemalige Bedeutung.

Russland ist keine Supermacht mehr. Es lebt mehr von der Erinnerung an die ehemalige Bedeutung. Präsident Putin weiß das. Und dennoch versucht er, das Gesetz des Handelns nicht ganz aus der Hand zu geben. Denn angesichts der immer konkreter werdenden amerikanischen Pläne für das Raketenabwehrsystem NMD und dem überraschenden Angriff auf den Irak ist klar: Irgendwie muss Russland raus aus seiner passiven Rolle. Muss Boden zurückgewinnen.

Boris Jelzin pflegte in solchen Momenten der Ohnmacht ein wenig mit dem Säbel zu rasseln. Um zu zeigen: Wir können zwar nicht mehr gleichberechtigt mitgestalten, aber es wäre besser, uns nicht zu sehr zu provozieren. Auch Verteidigungsminister Sergejew drohte noch vor zwei Wochen mit der Reaktivierung von eingemotteten Anti-Star-Wars-Programmen. Nun kommt Putin aus der Defensive. So ist das konkrete Angebot an die Nato, in Europa ein gemeinsames, mobiles Raketenabwehrsystem aufzubauen, vor allem ein politischer Schachzug. Denn Putin sagt, wenn es wirklich nur darum gehe, sich gegen mögliche Angriffe von Schurkenstaaten zu verteidigen, dann könne man ja mit unter den Schutzschirm.

Der russische Präsident spürt, dass der Wind sich dreht. Zwar befürchtet noch so mancher in Berlin, Paris und Rom, dass die Amerikaner mit NMD eine neue Rüstungsspirale lostreten könnten. Doch nach der Wahl von Bushs weiß man in Europa: NMD wird kommen. Und da hilft es auch nichts, wie Scharping nun in China, mit möglichen technischen Defiziten zu argumentieren. China ist am meistenbetroffen von NMD. Mit seinen etwa 20 Interkontinentalraketen hat es nicht genug Masse, um nach einer Installierung die USA noch bedrohen zu können. Deswegen ist hier der Widerstand besonders groß.

Putin hingegen verlässt nun die Interessenkoalition mit China. Das russische Abschreckungspotenzial ist ohnehin zu umfangreich, als dass es durch NMD vollständig ausgeschaltet werden könnte. Zudem ist Russland selbst an seiner islamisch geprägten Südflanke gefährdet. Hier besteht immer die Gefahr, dass fundamentalistische Staaten Russland versuchen zu destabilisieren. Ein eigenes Abwehrsystem könnte man aber kaum selbst finanzieren. Daher also der Vorschlag, mit der Nato in Europa gemeinsame Abwehreinheiten zu entwickeln: Der schlechte Schirm wird plötzlich zum guten, wenn auch Russland unter ihm Platz fände. Denn nuklearer "Regen" aus Schurkenstaaten kann auch ihm gefährlich werden.

Putins Angebot nimmt der neuen US-Regierung zunächst einmal den (Gegen-)Wind aus den Segeln. Statt Konfrontation bietet Putin Kooperation an. Und bringt Europa in Schwierigkeiten. Denn nun scheint auf dem Kontinent eine Alternative zu NMD möglich, die den ABM-Vertrag, das Herzstück der Abrüstungsverträge, intakt lässt. Oder aber, die USA stimmen zu, den Schutzschild von NMD auch auf Russland auszudehnen.

Politik heißt, bessere Optionen anzubieten. Putin hat nun die Schmollecke verlassen und eine Diskussion, die schon fast beendet zu sein schien, neu eröffnet. Außenpolitik wird wieder spannend.

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