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Russische Soldaten im Norden der Krim auf einem Militärlastwagen. Die Verluste der Armee sind hoch.

© picture alliance/dpa/Sputnik

Nato muss Verhandlungen erzwingen: Notfalls mit geballter Faust

Die Chance besteht, weil Russland auch immer erschöpfter wirkt. Bei Missachtung muss der Westen aber zu Militärschlägen bereit sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Die Frage stellt sich immer wieder: mit Wladimir Putin verhandeln? Sie stellt sich, je länger der Krieg dauert und desto mehr Menschen sterben, umso dringlicher. Die Antwort der Nato-Staaten plus der Ukraine kann darum eigentlich nur lauten: Ja, eigentlich – aber wie?

Am besten mit einer Art Doppelbeschluss 2.0: Die Hand zum Frieden ist ausgestreckt – sie kann sich bei Missachtung aber zur Faust ballen. Das wäre eine neue Qualität, eine deutlich härtere Reaktion.

Waffenlieferungen sind dann das eine, die Drohung mit einem Nato-Einsatz an der Seite der Ukraine das neue Element. Eine Drohung allein für den Fall, dass Verhandlungen nicht stattfinden; aber ernst gemeint sein muss sie trotzdem, sonst erzielt sie keine Wirkung. Nicht bei Putin. Zur Erinnerung: „Nato bombardiert die Serben“, lautete vor vielen Jahren eine Schlagzeile.

Im März schien es, als könne die Ukraine die Russen am Ende besiegen

Ernst gemeint heißt: Das Verhandeln voran, keine Frage. Präsident Wolodymyr Selenskyjs Verhandlungsansatz vom März ist nicht weiterverfolgt worden; wahrscheinlich auch, weil anfangs militärische Erfolge die Hoffnung wachsen ließen, die Russen am Ende besiegen zu können.

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Danach sieht es aber gerade nicht aus, auch weil die Russen ihre Taktik verändert haben. Und dennoch könnte der Kremlherrscher in absehbarer Zeit bereit sein, über Telefonate hinaus mit sich reden zu lassen. Denn der Blutzoll seiner Armee ist unfasslich hoch, er schwächt bereits die Moral der Mannschaften und der „Heimatfront“.

Putins Soldateska kommt in der Ukraine schwer und mancherorts kaum voran. Das ruft inzwischen sinkende Zustimmungsraten in seiner Bevölkerung hervor. Der Abnutzungskrieg erschöpft erkennbar auch Russland, unabhängig von weiteren Wirtschaftssanktionen. Entscheidende Vorteile auf dem Gefechtsfeld sind, so scheint es, gegenwärtig für beide Seiten nicht zu gewinnen.

Da verdient Selenskyis März-Paket neues Augenmerk. Es enthielt drei Elemente: Als erstes einen Verzicht auf den Nato-Beitritt; als zweites den Vorschlag, die Lösung der Krim-Frage um 15 Jahre zu verschieben; und als drittes das Angebot, einen Sonderstatus für den Donbass direkt zwischen den Präsidenten zu verhandeln. Vielleicht gelingt es perspektivisch, darauf zurückzukommen, verbunden mit Überlegungen, wie es die Nato mit Stationierungen in ihren neuen Partnerstaaten halten will.

Zugleich muss eine rote Linie gezogen werden, die Putin nicht überschreiten darf. Ob entlang des Flusses Dnipro oder wo auch immer Militärstrategen sie angesichts des Frontverlaufs für richtig halten: Wenn russische Truppen über diese Linie gingen, dann… Die Nato-Luftwaffe ist in jedem Fall einsatzfähig.

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