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Ohne die USA, gegen Russland und China: Europa muss alleine kämpfen
Der US-Präsident wendet sich von Europa ab und gibt dem Westen einen Tritt. Europa ist nun auf sich gestellt. Deutschland kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

Stand:
Donald Trump nennt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj einen „Diktator ohne Wahlen“. Trump fordert Selenskyj faktisch zur Kapitulation auf, wenn er schreibt, er solle „sich besser beeilen, oder er wird kein Land mehr haben“. Trump macht Selenskyj, nicht Putin, den Diktator ohne Wahlen, für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verantwortlich.
Gegenstück zum 9. November 1989
Der amerikanische Präsident umgarnt Putin. Er erklärt sich zum König der USA. Die Republikanische Partei applaudiert. Die US-Tech-Unternehmer schmeicheln Trump und die amerikanische Zivilgesellschaft schläft. Willkommen im Winter 2025, der eine neue Zeitenwende markiert und der sich womöglich als eine Art Gegenstück zum 9. November 1989 erweisen wird.
1989/90 erlebte Europa einen Sieg der Freiheit, des Friedens über den Kommunismus. Heute erlebt Europa, wie der Möchtegern-Autokrat Trump westliche Werte und Normen über Bord wirft. Werte, die Amerika und Europa groß gemacht haben. Europa erlebt, wie das Weiße Haus, wo über Jahrzehnte Anführer der freien Welt gewirkt haben, Autokraten päppelt und Alliierte brüskiert.
Trump und schon zuvor sein Vizepräsident J. D. Vance halten die schlimmsten „Versprechen“ ihrer nationalistischen, plutokratischen Bewegung. Sie kehren dabei dem politischen Westen nicht nur den Rücken zu, sondern versetzen ihm Tiefschlag um Tiefschlag. Diese amerikanische Regierung will im Trump-Stil, also mit Lügen und Erpressung, EU, Nato, ja den politischen Westen, schreddern. Was sich in der ersten Amtszeit Trumps nur andeutete, zeigt sich jetzt mit voller Wucht. Und: Trumps zweite Amtszeit hat eben erst begonnen.
Wenn es noch Beweisen bedurfte, dass Europa nun alleine kämpfen muss, dann waren es die Vance-Rede in München, Trumps Hasstiraden gegen die demokratische Ukraine und die Erklärung des Kreml, er stimme „vollständig“ mit der US-Haltung zur Ukraine überein. Aber empört hat sich Deutschland, hat sich Europa über Trump schon genug. Nun sind Tatkraft und, ja, Tapferkeit gefragt. Europa muss seine strategische Autonomie suchen, und zwar jetzt.
Wer den bisher von den USA verteidigten politischen Westen und seine Freiheit bewahren will, muss massiv investieren. In eigenständige Verteidigung und Verteidigungsindustrie, in neue, gleichgesinnte (Handels-)Partner, in Künstliche Intelligenz und in kritische Infrastruktur. Übrigens: Die Europäer sollten, wo Trump nun das gemeinsame Haus Europa zu zertrümmern versucht, ihr Heil in nicht noch mehr Handel mit China suchen, anders als es deutsche Konzernbosse in Allianz mit SPD und Linkspartei empfehlen.
Erwartungen an den künftigen Bundeskanzler immens
Ob und wie Europa aus der tiefsten Krise nach dem Zweiten Weltkrieg herauskommen wird, wird maßgeblich von Deutschland abhängen. Frankreichs Präsident ist auf dem Weg in den politischen Ruhestand, das Vereinigte Königreich hat sich aus der EU verabschiedet. Die Erwartungen an den künftigen Bundeskanzler könnten größer kaum sein.
Das anti-westliche Bündnis Trump/Putin sollte endlich Anlass sein, die von Olaf Scholz 2022 glänzend beschriebene Zeitenwende durchsetzen. Deutschland aber beginnt erst zu verstehen, dass die Zeiten der „postheroischen Gesellschaft“ (Herfried Münkler) in einer konfliktfreien Welt vorbei sind. Wir werden uns für diesen Wahlkampf mit all den Themen jenseits der Weltlage noch schämen.
Nötig ist ein mehrere hundert Milliarden Euro umfassendes Investitionspaket für die eigene Verteidigung und die der Ukraine sowie für Infrastruktur. Es bieten sich ein neues Sondervermögen oder eine Reform der Schuldenbremse an. Union, SPD und Grüne sollten das so schnell wie möglich verabschieden. Die Zeit drängt. Demokratische Politik muss schneller werden.
Das gilt auch für die Phase nach der Wahl. Angesichts von Trump und Putin verbieten sich monatelange Koalitionsverhandlungen wie einst in Friedenszeiten. Mit vielen Arbeitsgruppen (beim letzten Mal waren es 22) um die Zukunft des Deutschlandtickets und der Erwachsenenbildung zu beraten passt nicht in diese harte Zeit. Schon nächste Woche könnten sich die staatstragenden Parteien, unabhängig von der künftigen Koalition, auf die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für alle jungen Männer und Frauen einigen. Es wäre ein harter, dringend notwendiger erster Schritt.
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