Meinung: Petrischale der Pandora
Forscher haben ein tödliches Virus erschaffen – sie sollten ihr Wissen mit der Welt teilen
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Als Pandora den Menschen eine Büchse brachte mit der ausdrücklichen Warnung, sie nicht zu öffnen, konnten die nicht anders, als genau das zu tun: Krieg und Krankheit, Laster und Leid waren fortan in der Welt. Schuld war die Neugier.
Neugier in ihrer organisierten Form, Forschung, war es auch, die Wissenschaftler nun „eines der gefährlichsten Viren, die man sich vorstellen kann“ im Labor schaffen ließ: Sie haben ein Vogelgrippevirus so verändert, dass es sich durch die Luft von Frettchen zu Frettchen ausbreitet. Es könnte das tödlichste Virus sein, das die Menschheit je bedroht hat.
Um Terroristen keine Bauanleitung für eine Biowaffe zu liefern, hat ein Gremium der amerikanischen Regierung empfohlen, die Details geheim zu halten. Einige Wissenschaftler sagen, das Experiment hätte nie gemacht werden dürfen.
Wo endet die Forschungsfreiheit? Welche Grenzen braucht die Neugier? In der Praxis ist das Supervirus als Waffe kaum geeignet. Schließlich tötet es Gläubige und Ungläubige, Einheimische und imperialistische Eindringlinge gleichermaßen. Außerdem finden Terroristen immer noch leichter einen tödlichen Erreger in der Natur, als ihn im Labor zu erschaffen.
Durch Bioterrorismus sind bisher nicht mehr als eine Handvoll Leute gestorben. Dagegen töten Aids und Tuberkulose, Masern und Malaria jedes Jahr Millionen Menschen. Mutter Natur ist die größte Bioterroristin.
Ihr versuchen die Forscher, die das Virus schufen, auf die Schliche zu kommen. Sie wollen verstehen, wann das Vogelgrippevirus für den Menschen gefährlich wird und welche Veränderungen im Erbgut auf die Gefahr hinweisen. Sie handelten nicht aus rücksichtsloser Risikofreude, sondern aus dem Bedürfnis heraus, Menschen zu schützen. Ihre Forschung ist wichtig, ihre Ergebnisse können aber auch genutzt werden, um Menschen zu töten. Das ist das Dilemma.
2002 baute der Virologe Eckard Wimmer aus Gensequenzen, die er sich per Post schicken ließ, das Poliovirus. 2005 erweckten Forscher das Virus der Spanischen Grippe zum Leben. Das veränderte Vogelgrippevirus ist der nächste Schritt. Die Biologie wird zur Technologie. Und diese Technologie kann jede Ideologie für sich nutzen. Fortschritt schafft immer auch Möglichkeiten des Missbrauchs.
Darum ist es richtig, sich Gedanken darüber zu machen, wie das Wissen gegen die Menschheit verwendet werden kann. Eine Konsequenz: Wir werden niemals auf Impfstoffe gegen die Pocken und andere Erreger verzichten können. Denn auch ein Virus, das offiziell ausgerottet ist, könnte jederzeit im Labor wiedererschaffen werden.
Ein Verbot dieser Experimente wäre der falsche Weg. Das Feld würde lediglich ins Schattenreich der militärischen Forschung abgleiten. Die Studien würden weitergemacht, nur im Zweifelsfall von den Falschen.
Die Forschungsergebnisse zu unterdrücken, wird auch nicht funktionieren. Das Wissen ist längst in der Welt, die Büchse der Pandora geöffnet. Der beste Schutz könnte nun Offenheit sein: Viele Forscher könnten dann zum Beispiel daran arbeiten, Impfstoffe zu entwickeln. Man sollte auch das Ende der Geschichte nicht vergessen: Erst als die Menschen die Büchse der Pandora ein zweites Mal öffneten, entwich ein weiteres Geschenk der Götter: die Hoffnung.
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