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Im WORT laut: „Politisch habe ich natürlich ein angepasstes Leben geführt“

Bundeskanzlerin Angela Merkel berichtet im Interview mit der „Bild am Sonntag“ von ihrem Leben in der DDR. Sie weist darin zurück, dass in ihrem kirchlich geprägten Elternhaus „Sozialismus gleichwohl kein Schimpfwort“ gewesen sei:„Wie kommen Sie denn darauf.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel berichtet im Interview mit der „Bild am Sonntag“ von ihrem Leben in der DDR. Sie weist darin zurück, dass in ihrem kirchlich geprägten Elternhaus „Sozialismus gleichwohl kein Schimpfwort“ gewesen sei:

„Wie kommen Sie denn darauf. Mein Vater kam in den 60er Jahren zu der Erkenntnis, dass die Teilung Deutschlands für eine bestimmte Zeit als Realität hinzunehmen sei, und dass Seelsorge in der DDR etwas anderes als in der Bundesrepublik zu sein habe. Das heißt aber nicht, dass er diese Realität guthieß oder den Gedanken an die Einheit aufgegeben hätte. Er hatte sehr früh erkannt, dass das, was in der Theorie des Sozialismus vorausgesagt wurde, den Praxistest nicht bestehen würde. Deshalb musste das Ganze in den sogenannten ,real existierenden Sozialismus’ umgetauft werden. Und mit der Rolle der Kirche in so einer Gesellschaft hat er sich dann beschäftigt.“

Auf die Frage, warum sie Mitglied in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) gewesen ist, antwortet die Kanzlerin: „Hauptsächlich wegen der Freizeitveranstaltungen. Viele Gemeinschaftsaktivitäten wurden in der DDR ja nun mal über diese Organisationen abgewickelt.“ Dazu gehört, dass sie sich nicht eingemischt habe: „Politisch habe ich natürlich ein angepasstes Leben geführt. Wenn ich immer gesagt hätte, was ich gedacht habe, dann wäre mein Leben anders verlaufen.“ Die Grenze des Angepasstseins sei für sie die Staatssicherheit gewesen: „Ich hätte nie einen Freund verraten. Ich hätte nie bei der Stasi mitgemacht und andere verpfiffen. Ich habe oft geschwiegen, aber ich habe nur ganz selten etwas gesagt, was ich eigentlich nicht vertreten konnte.“

Auf die Frage, ob man bei der Einheit im Rückblick etwas hätte besser machen können, sagt Merkel: „Details vielleicht, in den großen Zügen aber war es richtig so. Schade ist nur, dass manche bis heute nicht sehen oder verstehen wollen, dass das Staatsgebilde der DDR das eine war – und das Leben jedes Einzelnen das andere. Das hat viele Menschen in den neuen Ländern verletzt, weil sie das Gefühl hatten, ihre Lebensleistung, wie der tägliche Kampf um die Versorgung der Familie mit Essen und Kleidung, werde nicht ausreichend anerkannt. Die DDR war ein Land, in dem es zum Beispiel kein Stück Holz zu kaufen gab, keine Latte, kein Brett. Das musste alles mühsam beschafft werden. Darüber kann jeder, der wie ich dort gelebt hat, stundenlang erzählen. Mit der Einheit aber war diese Lebenserfahrung mit einem Schlag völlig unwichtig.“

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