Aufstand: Prager Frühling II
40 Jahre nach dem CSSR-Aufstand erhebt sich wieder ein Land in Osteuropa gegen Moskau. Es ist das kleine Litauen.
Ein kleines Land probt den Aufstand gegen den großen Bruder. Alle in der Gemeinschaft, der es angehört, lehnen das ab. Der große Nachbar freut sich – und lähmt bereits die Wirtschaft des Kleinen mit einem empfindlichen Ölboykott. Die Menschen in dem kleinen Land gehen auf die Straße. Im Westen haben sie etwas von „Solidarität“ gesagt. Kann sich das kleine Land im Ernstfall tatsächlich darauf verlassen?
Die CSSR konnte es nicht vor 40 Jahren, das traurige Ergebnis des Prager Frühlings ist bekannt. 98 Menschen starben beim Einmarsch Moskaus und seiner Alliierten, vom Westen kamen Worte des Bedauerns.
Heute probt das kleine Litauen den Aufstand. Seit Wochen blockiert die Mitte-Links-Regierung in Vilnius die Neuverhandlung des EU-Russland-Paktes. Mit gutem Grund, auch wenn die Westeuropäer das anders sehen. Denn seit zwei Jahren boykottiert Moskau nun schon vertraglich zugesicherte Lieferungen an die größte Ölraffinerie des Baltikums – aus fadenscheinigen Gründen. Litauen hatte die Raffinerie nicht an den russischen Transneft-Konzern verkauft, sondern an ein polnisches Konsortium; kurze Zeit später gab es auf einmal „technische Probleme“ mit der Pipeline. Gleichzeitig baut Russland einen eigenen Seehafen zur Verschiffung von Ölprodukten aus.
In ein paar Jahren schließlich, wenn die von Deutschland und der EU geförderte Ostseepipeline („North Stream“) fertig ist, kann Russland nach Belieben auch seine Gaslieferungen an das Baltikum abschalten, wenn die Ex-Sowjetrepubliken nicht kuschen.
Das Litauer Veto ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein Fanal. Es ist der Hilferuf eines kleinen Landes an der EU-Außengrenze, das sich massiv von Russland bedroht fühlt. Und es ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, was in Westeuropa falsch läuft mit der Politik gegenüber Russland, in dem in dieser Woche ein neuer Präsident an die Macht kommen wird.
Statt eine einheitliche Position einzunehmen und gleiche Rechte für alle EU-Mitglieder einzufordern – ein Recht, das völlig zu Recht auch die polnischen Kaczynski-Brüder im Streit um einen russischen Fleischboykott erstritten haben – gehen Frankreich, Deutschland und Italien auf Distanz. Frankreich, weil es sich ganz auf den Plan einer Mittelmeerunion konzentriert und sich längst von Osteuropa abgewandt hat; Deutschland, weil es sich von seiner Sonderbeziehung zu Moskau das Beste für die Stabilität im osteuropäischen Raum verspricht.
Und Italien, weil es mit Russland gerade selbst über eine neue Pipeline verhandelt, die osteuropäische Staaten minorisieren wird: das Pipelineprojekt „South Stream“, das sich vor allem gegen die Ukraine und Georgien richtet. Schon spekulieren italienische Medien über ein Angebot des russischen Präsidenten Wladimir Putin an den scheidenden Ministerpräsidenten Romano Prodi, den neu geschaffenen Aufsichtsratsposten bei der Betreibergesellschaft zu übernehmen, nach dem Vorbild eines deutschen Ex-Kanzlers.
Die Botschaft ist klar: Russland kauft den Westen – und der droht Osteuropa erneut im Stich zu lassen.