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Joachim Gauck: Präsident der Herzen

Horst Köhler wird heute beim Frühstück den „Spiegel“ durchblättern und zu seiner Frau sagen: „Eva, die haben immer noch keinen Respekt vor meinem Amt.“ Seit einigen Tagen wird Joachim Gauck zum Präsidenten der Herzen stilisiert.

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Horst Köhler wird heute beim Frühstück den „Spiegel“ durchblättern und zu seiner Frau sagen: „Eva, die haben immer noch keinen Respekt vor meinem Amt.“ Seit einigen Tagen wird Joachim Gauck zum Präsidenten der Herzen stilisiert. Er sei „der bessere Präsident“, lautet es auf dem Titel des „Spiegel“, die „Bild am Sonntag“ schreibt: „Yes, we Gauck“. Sogar FDP-Politiker zeigen sich begeistert von dem ehemaligen Bürgerrechtler.

Die Bereitschaft denjenigen Kandidaten, der eine extrem geringe Chance hat, ins Schloss Bellevue einzuziehen, zum idealtypischen Bundespräsidenten zu verklären, lässt den mit einer extrem hohen Chance, gewählt zu werden, schon jetzt als zweite Wahl erscheinen. Die Begeisterung ist zudem nicht frei von Verlogenheit: Hätte Merkel sich mit der FDP auf Gauck geeinigt, die Welt hätte gerufen: Zwei Ossies an der Spitze des Landes, das geht nicht; und die SPD, der Gauck alles andere als nahe steht, hätte gegen den stets von Freiheit Redenden, als polarisierenden Stasi-Fresser abgetan.

Ähnlich verlogen ist das Lob von FDP- und CDU-Seite für Gauck, denn dabei geht es in erster Linie um Kritik an dem in der Tat kaum überzeugenden eigenen Kandidaten und damit an den beiden Parteichefs selbst. Jedem Lob für Gauck ist die Drohung eingeschrieben, nicht für Christian Wulff zu stimmen. Doch sollte die FDP Gauck zusammen mit der Linke zum Bundespräsidenten wählen, wäre die schwarz-gelbe Koalition am Ende. In der Bundesversammlung geht es also nicht allein um den besseren Bundespräsidenten – sondern auch um den besseren Kanzler. Vermutlich wird die Zuneigung zu Gauck dann abebben.

Die verlogene Begeisterung für Gauck zeigt, wie gefährlich schwach Merkels Kanzlerschaft geworden ist; die echte Begeisterung, wie schwach ihre Wahl für das höchste Amt im Staat ist. Dass Wulff mit großer Wahrscheinlichkeit dennoch der nächste Bundespräsident dieses Landes sein wird, dass nach der unglücklichen Ära Köhler wieder kein überzeugender Kandidat ausgewählt wurde, schadet dem Amt mindestens so sehr wie die politisch-mediale Instrumentalisierung des Auswahlprozesses. Der Respekt für das Amt und für die, die es innehaben, ist deshalb verständlicherweise nicht besonders groß.

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