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Meinung: Rassenkrawalle von Bradford: Kreuzberg liegt nicht in England

Kann das auch in Berlin passieren? In nordenglischen Städten entlädt sich der Hass zwischen jungen weißen Rassisten und Jugendlichen aus Einwandererfamilien mit einer Wucht, der die Polizei nicht gewachsen ist.

Von Frank Jansen

Kann das auch in Berlin passieren? In nordenglischen Städten entlädt sich der Hass zwischen jungen weißen Rassisten und Jugendlichen aus Einwandererfamilien mit einer Wucht, der die Polizei nicht gewachsen ist. Die Bilder verwüsteter Viertel in Oldham, Burnham und Bradford vermitteln den Eindruck, die traditionellen Ausschreitungen am 1. Mai in Berlin seien nur Geplänkel. Dennoch scheint die Frage unvermeidlich, ob auch hier Unruhen wie in Nordengland möglich oder sogar zu erwarten sind. Der Anteil von Einwohnern nicht-deutscher Herkunft soll ja in Berlin eine kritische Größe erreicht haben, wie konservative Politiker und Medien behaupten.

Der Vergleich mit England scheint auf den ersten Blick zu beruhigen: Berlin ist trotz herber finanzieller Probleme mit den ausgepowerten Industrierevieren Nordenglands nicht gleichzusetzen. Dort hat der Thatcherismus, von Labour-Premier Tony Blair teilweise kopiert, die Entwicklung einer Zwei-Drittel-Gesellschaft rabiat forciert. Natürlich ist unvergessen, dass Helmut Kohl als Bundeskanzler einst auch eine (neoliberale) Wende versprach. Vollzogen hat er sie jedoch nur rudimentär.

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in der Bundesrepublik weniger tief als in Großbritannien. Dort ist das verarmte, dritte Drittel scharf konturiert. Vor allem Einwanderer und weiße Arbeiter zählen dazu, die mit der De-Industrialisierung jede Job-Perspektive verloren haben. Was das für den Nachwuchs bedeutet, hat im letzten Jahr eine Studie des Kinderhilfswerks Unicef offenbart: 33 Prozent aller britischen Kinder leben in Haushalten, die als arm bezeichnet werden. In Deutschland sind es zwölf Prozent.

Von den Tories lernen ...

Dazu passt, dass in einer Stadt wie Bradford die Hälfte der asiatisch-stämmigen Jugendlichen keine Arbeit findet. Doch in diesem Punkt kommen die deutschen Verhältnisse den britischen bedrohlich nahe. Nicht nur in Berlin sind junge Ausländer weit stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Deutsche gleichen Alters. Wie viel sozialer Sprengstoff sich in der Stadt anhäuft, ist beim Blick auf die Arbeitslosigkeit unter Ausländern zu ahnen: 35 Prozent. Im Durchschnitt sind es rund 15 Prozent aller Erwerbsfähigen.

So mag es beinahe verwundern, dass eine gewaltsame Eruption der Frustrationen junger Ausländer in Berlin bislang ausblieb. Die Beteiligung türkischer Cliquen an Mai-Krawallen scheint da kaum mehr als ein Hinweis auf ein schwer zu schätzendes Gewaltpotenzial zu sein. Dennoch ist Berlin vor Überraschungen nicht sicher. Sollten es Skinheads und Neonazis wagen, in Kreuzberg aufzutreten wie die Rechtsextremisten in Nordengland, wäre eine Explosion unvermeidlich. Einmal war es beinahe so weit: Als die NPD im März 2000 provokativ eine Aufmarschroute mitten durch Kreuzberg angemeldet hatte, bauten Türken und Autonome Barrikaden. Die Polizei dirigierte die Rechtsextremisten dann um, weil die Lage sonst nicht beherrschbar gewesen wäre. Wie es die britische Polizei erleben musste.

Nein, Berlin ist nicht Nordengland - noch nicht? Die Arbeitslosenquote bei Ausländern wächst in Berlin stetig, so rücken nordenglische Verhältnissen etwas näher. Diese Entwicklung würde mit Sicherheit beschleunigt, sollte die CDU im bevorstehenden Berliner Wahlkampf ähnlich argumentieren wollen wie die Tories. Die britischen Konservativen haben im jüngsten Ringen mit Labour versucht, den Mangel an eigenen Themen durch rechtspopulistische und auch rassistische Parolen auszugleichen. Die rechten Schläger in Oldham, Burnham und Bradford konnten sich legitimiert fühlen, das Gerede handfest umzusetzen. Schon deshalb taugt die Tory-Kampagne nicht als Vorbild für den hiesigen CDU-Wahlkampf. Abgesehen davon - die britischen Konservativen haben die Wahlen haushoch verloren.

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