zum Hauptinhalt
Szene einer anti-japanischen Demonstratione in Seoul von 2019.

© Ahn Young-Joon/AP/dpa

Roter Gegenwind im Fernen Osten: Japan und Südkorea sollten sich gegen die Übermacht Chinas zusammentun

Das Verhältnis der südostasiatischen Demokratien ist belastet. Pekings aggressive Politik ist aber ein lauter Weckruf. Alte Streitereien gehören zurückgestellt. Ein Gastbeitrag.

Von Bernd Fischer

Mehr als 1.400 Mal drangen chinesische Kampfflugzeuge seit Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden in den Luftraum von Taiwan ein. Das dortige Verteidigungsministerium spricht von täglichen Verletzungen der sogenannten Luftverteidigungszone.

Das Debakel von Kabul und die zögerliche Antwort des Westens auf Putins Krieg gegen die Ukraine werden China ermutigen. Die Volksrepublik wird ihren im Zweiten Opiumkrieg von 1860 verlorenen, aber nun wieder frisch antrainierten Bizeps in ganz Asien zeigen.

Besonders die beiden wichtigen Demokratien Japan und Südkorea sollten sich Gedanken machen, wie sie ihre eigene belastete Geschichte überwinden können. Das Zusammenrücken Japans und Südkoreas ist kein einfaches Unterfangen.

Genauso wie für viele europäische Staaten wiegt das koloniale Erbe schwer. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war das japanische Kaiserreich mit eigenen Kolonien die dominierende Macht Ostasiens.

Eine aus dieser Zeit immer wiederkehrende Geschichte ist die der sogenannten Trostfrauen. Um die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten während des Krieges einzudämmen und Übergriffen vorzubeugen, unterhielt Japans Armee ein Netzwerk von Militärbordellen.

Viele Frauen wurden als „Trostfrauen“ von der japanische Armee missbraucht.
Viele Frauen wurden als „Trostfrauen“ von der japanische Armee missbraucht.

© akg-images / Pictures From Histo

Viele der für die dortige Arbeit rekrutierten jungen Frauen trieb die Armut der eigenen Familie an. Über die Zahl der Betroffenen und die Frage, in welchem Ausmaß Zwang eine Rolle spielte, streiten sich Japan und Südkorea seither. Fest steht aber: Das Leid war groß.

20 Jahre nach Ende des Krieges schlossen die beiden Länder 1965 ein Abkommen zur Regelung von Schadensersatzansprüchen. Japan verpflichtete sich darin gegenüber Südkorea, Wirtschaftshilfen und Aufbaukredite in Höhe von 500 Millionen Dollar (heutiger Gegenwert: 4,5 Milliarden Dollar) bereitzustellen.

Im Gegenzug betrachtete Südkorea sämtliche Forderungen aus der Kolonialzeit als abgegolten. Im ersten Moment klingt das für deutsche Ohren nach der Schlussstrich-Debatte der 1950er Jahre in der alten Bundesrepublik. Aber das ist vorschnell.

Wir in Deutschland wissen, was Geschichtsaufarbeitung bedeutet. Als der damalige Bundeskanzler Willy Brandt am 7. Dezember 1970 vor dem Ehrenmal des jüdischen Ghettos in Warschau auf die Knie fiel, wurde eine Lanze für die Aussöhnung gebrochen.

Demonstrative Symbolik liegt nicht in der japanischen Natur

Solch demonstrative Symbolik liegt nicht in der japanischen Natur, denn im Land des Berges Fuji und der Zen-Gärten zählen die leisen Gesten. Trotzdem war es wohl der ehemalige Außenminister und Chefkabinettssekretär (in Deutschland in etwa der Kanzleramtschef) Yohei Kono, der dem Bilde eines japanischen Willy Brandts am ehesten entspricht.

In einer Erklärung von 1993 gestand er stellvertretend für seine Regierung die Involvierung der kaiserlich japanischen Armee in das Trostfrauen-System ein. Er entschuldigte sich bei den betroffenen Frauen und sprach von unermesslichem Schmerz und unheilbaren physischen und psychologischen Wunden, die ihnen zugefügt wurden.

Der umwölkte Vulkan Fuji, Japans höchster Berg.
Im Land des Fuji-Bergs zählen leise Gesten.

© AFP

Ein Jahr nach der Erklärung richtete Japan 1994 einen Entschädigungsfonds mit 45 Millionen Dollar ein. Mit einem 2015 gemeinsam unterzeichneten Trostfrauen-Abkommen beschlossen Japan und Südkorea, diesen schlimmen Teil der Geschichte endgültig hinter sich zu lassen.

Teil des Abkommens war die Gründung einer Stiftung für Heilung und Versöhnung, die noch einmal mit zehn Millionen Dollar ausgestattet wurde und die die mittlerweile stark betagten, ehemaligen Trostfrauen in ihrem Alltag unterstützt. Man sollte also meinen, alles sei auf einem guten Weg.

Der „Korean Council“ spricht von Schweigegeld

In südkoreanischen Medien ist die Aufarbeitung der Kriegs- und Kolonialvergangenheit auch nach dem Abkommen weiter ein heiß diskutiertes Thema. Angefeuert wird die Debatte von Aktivistengruppen wie dem „Korean Council“.

Er sieht in den Entschädigungen ein Schweigegeld zur Unterbindung einer ehrlichen Aufarbeitung. Weltweit lässt er Statuen aufstellen, die an das Leid der jungen Frauen erinnern und den Druck auf Japan aufrechterhalten sollen.

Auch in der Berlin wurde 2020 eine Statue errichtet, die an die „Trostfrauen“ erinnert. Seitdem gibt es Streit darum.
Auch in der Berlin wurde 2020 eine Statue errichtet, die an die „Trostfrauen“ erinnert. Seitdem gibt es Streit darum.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Der eigenen Regierung in Seoul wirft er vor, die Anliegen der Trostfrauen zu ignorieren. Südkoreas Staatsanwaltschaft ermittelte unterdes wegen Zweckentfremdung öffentlicher Gelder gegen den „Korean Council“.

Der jüngst aus dem Amt geschiedene südkoreanische Präsident Moon Jae-in sah sich aufgrund des Drucks dieser Organisation gezwungen, die Arbeit der Stiftung für Heilung und Versöhnung vorzeitig zu beenden.

Der neue Premier gibt sich versöhnlich

Mit dem Wechsel der Regierung im Frühjahr 2022 kehrte jedoch ein neuer Wind des Pragmatismus zurück. Der neu gewählte Präsident Yoon Suk-yeol sendete in seiner Rede zur Amtseinführung versöhnliche Signale.

Man wolle die wirtschafts- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Japan vertiefen und auf eine Verbesserung der Beziehungen hinarbeiten. Das bilaterale Abkommen von 2015 wolle man respektieren.

Die versöhnlichen Signale aus Seoul sind ein Schimmer der Hoffnung auf ein von Realismus geprägtes Zusammenwachsen der beiden größten Demokratien Asiens. Peking hat sich immer noch die Angliederung Taiwans bis 2050 auf die roten Fahnen geschrieben.

Mit der neuen Seidenstraße sollen wirtschaftliche Abhängigkeiten so aufgebaut werden, dass ein Protest anderer Länder gegen die chinesische Hegemonialpolitik unmöglich wird. Währenddessen baut Nordkorea weiter an der Bombe, auf den Philippinen kommt ein Diktatorensohn ins Präsidentenamt, und der russisch-japanische Streit um die Kurilen erhitzt sich wieder.

Für Asiens größte Demokratien Japan und Südkorea sollte dies ein eindringlicher Weckruf sein, alte Animositäten zu überwinden und im Sinne der Demokratie zusammenzuarbeiten. Denn eines steht fest: Im Systemwettbewerb des 21. Jahrhunderts wird die Demokratie auch in Fernost verteidigt.

Zur Startseite