
© IMAGO//Florian Gaertner
Schwarz-roter Koalitionsvertrag : Ein ernsthaftes Programm für ernste Zeiten
Der Koalitionsvertrag atmet endlich den Gedanken, dass die Qualität des Sozialstaates nicht von seiner Größe, sondern von seiner Effizienz abhängt. Vor einer Wahrheit aber drückt sich Schwarz-Rot.

Stand:
Selten hat sich eine angehende Koalition in derart angespannten Zeiten auf das Regieren vorbereitet wie Schwarz-Rot im Frühling 2025. Ernst ist die Lage, und mit einem ernsthaften Programm wollen CDU, CSU und SPD Deutschland künftig führen.
Die Koalitionsvereinbarung widmet sich zwar nahezu allen Politikfeldern. Doch sie tut das mit einem Fokus. Der Kontrast zum Ampel-Koalitionsvertrag könnte größer kaum sein. Das ist auch gut so.
Gewiss, mit der Reform der Schuldenbremse für eine bessere Verteidigungsfähigkeit und dem 500-Milliarden-Euro-Topf für Infrastruktur und Klima, haben Union und SPD schon Fakten geschaffen, als noch keine Seite des Koalitionsvertrages geschrieben war. Der wohl künftige Kanzler Friedrich Merz (CDU) hat dafür sein Wort aus dem Wahlkampf gebrochen.
„Einfacher, bezahlbarer und gerechter“ will Schwarz-Rot das Leben machen. Angesichts einer seit Jahren lahmen Konjunktur ist es ein gutes Zeichen, dass die Regierung in spe keine Steuern erhöht, sondern teils senken will. Und wer sollte den Wildwuchs bei Sozialleistungen besser kappen als eine Koalition mit zwei sozialdemokratischen (SPD, CSU) und einer halben sozialdemokratischen Partei (CDU)?
Der Koalitionsvertrag atmet endlich den Gedanken, dass die Qualität des Sozialstaates nicht etwa von seiner Größe, sondern von seiner Effizienz abhängt. Nur ein effizienter Sozialstaat kann Geringverdienern und Bezieher kleiner und mittlerer Renten Luft zum Atmen verschaffen. Das nennt man Gerechtigkeit.
Das schwarz-rote Erwartungsmanagement ist glücklicherweise bescheiden. „Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt“, heißt es in Zeile 1627. Jener Satz dürfte bei dem zu erwartenden Wünsch-Dir-was wohl noch manches Mal zitiert werden, hoffentlich nicht nur vom Finanzminister.
Einen schlanken Staat hatte der Wahlkämpfer Merz versprochen, wenigstens das wird er vielleicht einhalten. Sollte diese Regierung tatsächlich bei sich selbst sparen und ihr Personal bis 2029 „um mindestens acht Prozent reduzieren“, so hätte sie nach vielen Jahrzehnten eines wenig hinterfragten Personalaufwuchses tatsächlich den Schalter umgestellt. Dafür ist es höchste Zeit.
Mit seiner Eins-zu-Eins-Rhetorik aus dem Wahlkampf hat sich Merz keinen Gefallen getan. In den letzten Wochen aber hat er schmerzhaft gelernt, dass ein (künftiger) Kanzler kein Vorstandschef ist, der Top-Down exekutieren kann.
Das gilt für die Migrationspolitik, wenngleich der hier geplante Spurwechsel nicht zu unterschätzen ist. Hätte sich die Ampel-Koalition für Zurückweisungen an den Grenzen, mehr Rückführungen und Integration und die Streichung des Bürgergeldes für Ukrainer entschieden, wie nun Schwarz-Rot, wäre das Land womöglich weniger polarisiert als heute.
Vor einer Wahrheit drückt sich dieses Bündnis – noch. Der Verzicht, die Wehrpflicht wieder einzuführen, könnte Schwarz-Rot schneller einholen als erhofft. Andere Partner sind da weiter, haben mehr Mut, investieren konsequenter in ihre Resilienz. Die Festlegung, die Ausgaben für Verteidigung „deutlich und stringent“ zu steigern, ist ein wohltuender Kontrapunkt zur Rhetorik von Olaf Scholz, der oft das Zwei-Prozent-Ziel der Nato von 2014 referierte und nur murrend erfüllte.
Wenn CDU, CSU und SPD in diesen ernsten Zeiten, mit ernsthaftem Programm einen neuen Stil bilden wollen, sollten sie darauf verzichten, nun aufzulisten, was sie „gegen die anderen“ erreicht haben. Ob das gelingt? Fraglich.
Der Blick auf die Ressortverteilung – je sieben Minister für CDU und SPD, drei für die CSU – erlaubt drei Deutungen: Der 16-Prozent-Wahlverlierer Klingbeil hat gut verhandelt oder der 28-Prozent-Wahlsieger Merz hat zugunsten des großen Ganzen Einfluss geopfert. Oder beides.
Ein schales Gefühl bleibt zurück. Die Namen ihrer Minister wollen CDU, CSU und SPD erst nennen, nachdem ihre Leute dem Koalitionsvertrag zugestimmt haben. Mut und Transparenz wären hier gewiss souveräner. Andererseits: Nicht auszudenken, wenn dieses Regierungsbündnis am Unwillen von Parteifunktionären scheitern würde, während die AfD nur auf Neuwahlen schielt.
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