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Black Lives Still Matter: Dass das Leben Schwarzer Menschen weiterhin zähle, war der leicht variierte Titel einer Demonstration Anfang Juli in Berlin.

© Fabian Sommer/dpa

Schwarzen-Bewegung in vier EU-Ländern: Der kurze Sommer von Black Lives Matter - und was von ihm bleibt

Die Ergebnisse waren unterschiedlich, aber überall hat #blm vor einem Jahr die Rassismusdebatte gedreht, sagt eine europäische Studie. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Ein Jahr liegen jetzt die Proteste zurück, die nach dem Tod des Schwarzen US-Bürgers George Floyd nicht nur in den USA Hunderttausende auf die Straßen trieben. In Deutschland demonstrierten bis Ende Juli 2020 etwa 200 000 Menschen gegen Rassismus im eigenen Land, durch Polizei, Diskriminierung in der öffentlichen Versorgung und gegen den Spießrutenlauf, der für die Mehrheit nichtweißer Menschen ihr Alltag ist.

Alles vergessen? Die letzte Demo am Brandenburger Tor brachte gerade noch tausend Leute auf die Beine, trotz gelockerter Pandemie-Vorschriften. Auch das Medieninteresse an „Black Lives Matter“ flaute nach anfänglich breiter Berichterstattung rasch wieder ab, wie eine Gruppe von Forscher:innen aus Deutschland, Polen, Italien und Dänemark feststellte, die das Phänomen ein Jahr danach für ihre jeweiligen Länder untersuchte.

In Polen Protest nur in den Städten

Doch das scheint nur die Oberfläche zu sein, wenn man liest, was die Sozialwissenschaftler:innen vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung DeZIM in Berlin, der Scuola Normale Superiore in Florenz, der Universität Kopenhagen und der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Interviews mit Aktiven, Medienanalyse und auf vier Landkarten des Protests zusammengetragen haben. In allen Ländern hat der kurze #blm-Sommer Rassismus als Thema so sichtbar und Schwarze Stimmen so hörbar gemacht wie nie.

Auch wenn, wie im Forschungsbericht zitiert, den enthusiastischen Neu-Aktiven erst einmal klar gemacht werden musste, dass die Schwarzen-Bewegung in Deutschland nicht erst seit dem 25. Mai 2020 existiert, sondern seit etwa vierzig Jahren: Jetzt bekam sie Schwung und Öffentlichkeit, Rassismus wurde, so der Bericht, „wie nie zuvor zu einem politischen Thema“. Selbst für Polen, wo die Proteste relativ klein, auf Großstädte wie Warschau, Krakau, Breslau und Kattowitz beschränkt blieben und die Energien durch Regierungsmaßnahmen gegen Frauen- und Schwulenrechte fehlten, stellen sie fest, dass der vergangene Sommer Rassismus überhaupt erst zum öffentlichen Thema gemacht hat.

Interessant ist vor allem der vergleichende Blick auf die beiden Länder mit zugleich faschistischer und kolonialer Vergangenheit: In Italien wie in Deutschland erreichten die #blm-Proteste jeweils das ganze Land, beide Bewegungen bezogen sich auf eben diese Vergangenheit. In den Medien dagegen - und womöglich darüber hinaus -war Abwehr gegen die Verbindung heutigen Rassismus mit der nationalen Geschichte zu spüren. Selbst Italiens linksliberale und linke Traditionsblätter haben nach Analyse des Teams aus Florenz sich weit ausführlicher mit den US-Protesten beschäftigt als mit denen in Europa und Italien, selbst die linke "il manifesto" habe den Slogan "I can't breathe", den die Bewegung aus den Worten des sterbenden Georg Floyd machte, vom antischwarzen Rassismus weginterpretiert und auf die Vielen hingewiesen habe, die unter Atemnot litten - durch die Pandemie, die Klima- und die Wirtschaftskrise.

Rassismus ist gern der der andern

In Deutschland habe die "Bild"-Zeitung das Thema praktisch vollständig verschwiegen. Das Narrativ, das Minderheiten seit Jahrzehnten aufbrechen wollen, dass man den Rassismus zusammen mit Faschismus und Nationalsozialismus erfolgreich bewältigt habe, scheint immer noch widerstandsfähig. Dass es anders sein könnte, hört, sieht, liest man nicht gern. So verkaufte sich Francesca Melandris auch literarisch exzellenter Roman über den rassistischen Abessinienkrieg und seine Folgen bis heute ("Alle außer mir") in Deutschland im ersten Jahr 70.000mal, während er zur gleicher Zeit gerade 10.000mal in Italien selbst über die Ladentheke gegangen war. Rassismus ist vorzugsweise der der andern.

Weit auseinander sind die beiden Länder, was das Echo der etablierten Politik auf #blm angeht. In Italien scheint der Schwung auf dem Weg nach oben, in den so genannten „Palazzo“, abgeebbt: „Auf politisch-institutioneller Ebene können wir noch keine Auswirkungen feststellen“, heißt es im Forschungsbericht.

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In Deutschland hatte #blm die – wobei der Bericht dies nur am Rande erwähnt. Obwohl die Bewegung, so die Forscher:innen, hierzulande weniger divers war, weniger Geflüchtete und überhaupt weniger Aktive zählte als in Italien: Vermutlich waren es genau die Richtigen für die deutsche Verbändedemokratie: Alteingesessene Afrodeutsche mit der nötigen Erfahrung in deutscher Politik. Sie begleiteten etwa den Kabinettsausschuss Rechtsextremismus und Antirassismus der Kanzlerin, und für Schwarzes Engagement gibt es seither auch mehr Geld.

Wie dauerhaft das Thema Rassismus auf den oberen Ebenen der Institution ankommt, wird man sehen. Wie auch die Forscher:innen sinngemäß schreiben: Für ein wirkliches Urteil über #blm in Europa ist ein Blick auf den einen kurzen Sommer zu kurz.:

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