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Meinung: Sie brauchen alle Helfer

Was die neuen Anschläge im Irak über die geänderte Lage verraten

Die Kette blutiger Anschläge im Irak reißt nicht ab. Am Dienstag 55 Tote vor einer Polizeiwache in Iskanderiah, am Mittwoch vermutlich bis zu 50 Tote vor einem Armeestützpunkt in Bagdad. Und doch hat sich Entscheidendes verändert gegenüber dem Herbst. Die Attentate richten sich nicht mehr in erster Linie gegen die amerikanischen Besatzer, sondern – gegen Iraker. Gegen alle, die helfen wollen, eine staatliche Ordnung aufzubauen: als Polizisten oder in der neuen Armee. Die Autobomben sollen die inländischen Helfer in die Flucht schlagen, so wie im Sommer die ausländischen, die UN und die zivilen Hilfsorganisationen.

Die andere Differenzierung ist nicht neu, aber unverändert wichtig: Die Anschläge betreffen fast ausschließlich einen bestimmten Ausschnitt der amerikanischen Besatzungszone – das so genannte sunnitische Dreieck um die Hauptstadt Bagdad und Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit. Dort sitzen die Verlierer des Regime change. Im Südirak dagegen, wo die Schiiten wohnen und Briten, Niederländer, Italiener und andere die Besatzer sind, ist es relativ ruhig. Dort leben die Nutznießer des Sturzes der Diktatur. Auch dort bilden sich täglich Schlangen junger Männer, die in die Polizei oder die Bürgerwehr eintreten wollen – einer der wenigen Auswege aus der Arbeitslosigkeit. Terror hat kaum eine Chance, weil er keinen Rückhalt in der Bevölkerung findet.

Das gilt im Prinzip auch für den kurdischen Norden. Dort gab es zwar kürzlich das schreckliche Doppelattentat auf die Zentralen der beiden kurdischen Parteien – aber es glich eher der Ausnahme, die die Regel bestätigt. Ohne dass die Besatzer das anstreben, zeichnet sich eine Dreiteilung des Irak ab: in einen relativ ruhigen Norden, wo die Kurden autonom agieren, und einen relativ ruhigen Süden, wo die Schiiten allmählich Verwaltungsaufgaben übernehmen, sowie einen Mittelteil, wo die Sicherheitsprobleme eine ähnliche Entwicklung verzögern.

Mit der geänderten Lage verändern sich auch die Chancen und Risiken. Es wäre fatal, wenn die Iraker sich entmutigen ließen: jetzt, da die Amerikaner bereit sind, mehr Macht abzugeben. Man kann also nur hoffen, dass die neue Terrorstrategie nicht aufgeht, sondern sich gegen die Urheber wendet, die nun Iraker töten – auch im Raum um Bagdad und Tikrit. Die sunnitische Geistlichkeit ist bereits gespalten: Widerstand gegen die Besatzer sei gerechtfertigt, die Tötung von Zivilisten oder irakischen Polizisten dagegen nicht, urteilt ihr neuer Rat.

Wer aber von den Irakern erwartet, dass sie trotz der erhöhten Gefahr auf die Zukunft setzen – ihren Lebensunterhalt bei Polizei und irakischer Armee suchen und zu den freien Wahlen gehen –, und wer von den Amerikanern verlangt, dass sie Macht übertragen, an die UN und zivile Helfer, der muss denen Mut machen, die Aufgaben im Irak zu übernehmen. Kofi Annan sucht verzweifelt nach einem Weg, seine Mitarbeiter zur Rückkehr zu motivieren. Was wäre das für ein Bild: Die USA machen den UN Platz, aber die kommen nicht. Das jedenfalls wäre nicht allein die Blamage des George W. Bush.

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