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Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

© Foto: dpa/Kay Nietfeld

Update

Nach dem Machtwort des Kanzlers: Die Ampel muss radikal pragmatisch werden

Wladimir Putin war der Dealer, Deutschland der Junkie: Sich aus dieser Abhängigkeit schnell und klimaneutral zu befreien, ist das Gebot.

Ein Kommentar von Malte Lehming

| Update:

Das Wort von der Krise täuscht. Es klingt nach Ausnahmesituation, nach etwas Vorübergehendem. Nach: Bald wird alles wieder wie früher sein. Wird es aber nicht. Die Zeitenwende, die Olaf Scholz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ausrief, ist tatsächlich eine. Unwiderruflich.

Selbst wenn, was zu hoffen ist, der Krieg in naher Zukunft enden sollte, müssen Deutschland und andere EU-Länder den Import von russischer Energie einstellen. Ihnen muss in kurzer Zeit eine Transformation ungeheuer großen Ausmaßes gelingen. Es geht nicht nur um diesen und den Winter danach. Es geht auch um Klimaschutz und die Erhaltung der Industrien. Stromausfälle, Insolvenzen, Rezession: Das alles droht, plus eine anhaltende Inflation.

Schafft die Ampel das? In normalen Zeiten ließe sich das Loblied einer Mehrparteienkoalition anstimmen. Jeder braucht den anderen, keiner hat eine Mehrheit, verschiedene Gruppen der Gesellschaft werden repräsentiert, der Zwang zum Kompromiss verhindert eine radikale Politik.

Doch die Zeiten sind nicht normal. Sie erfordern Radikalität, einen radikalen Pragmatismus. Ideologiegetriebene Parteien, die sich zuvörderst um ihren Markenkern sorgen, um Stammwähler und Identität, sind da fehl am Platz.

Sollen nun zwei in Streckbetrieb bis April 2023 oder drei bis 2024?

Wie lächerlich klein wirkte vor diesem Hintergrund der wochenlange Hickhack von Grünen und FDP über die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Am Montag sprach Kanzler Olaf Scholz dann ein Machtwort: Die verbleibenden drei deutschen Atomkraftwerke sollen maximal bis zum 15. April 2023 weiterlaufen können.  Dass ein solches Machtwort überhaupt nötig war, zeigt, wie desolat die Regierung ist.

Die Leidenschaft, mit der über die Laufzeitverlängerung diskutiert wurde, deutet auf Profilneurosen hin. Ähnlich absurd mutet das Mantra der Ampelparteien an, dieses und jenes stünde nicht im Koalitionsvertrag. Deshalb dürfe gar nicht erst diskutiert werden über Tempolimit und Vermögensteuer, Fracking und Schuldenbremse.

In Zeiten wie diesen schon die ergebnisoffene Suche nach Lösungsmöglichkeiten zu tabuisieren, um nur ja den Koalitionsfrieden nicht zu gefährden, kann Deutschland sich nicht leisten. Das Wohl des Landes soll gemehrt werden, nicht das der Partei.

Exemplarisch dafür ist der Energiebereich. Vor zehn Monaten, als die Ampel ihren Dienst begann, formulierte Robert Habeck als Ziel: Die größte Industrienation Europas und viertgrößte Volkswirtschaft der Welt müsse Klimaneutralität und Wohlstand zusammenbringen. Das ist seit dem 24. Februar aktueller denn je.

Welche Reihenfolge dabei zu beachten ist, hat der amerikanische Klimaforscher James Hansen postuliert: „Erst schafft man die Kohle ab, dann schaltet man das Öl ab, dann das Gas und zuletzt die Atomkraftwerke. Sonst bekommen wir das CO-2-Problem nicht in den Griff.“

Auch im Rahmen der EU muss die Bundesregierung aktiver werden, um die Suche nach einem schnellen Ersatz fürs russische Gas zu beschleunigen. Deutschland und Spanien haben beschlossen, eine Gas-Pipeline über die Pyrenäen zu bauen. Doch Frankreich blockiert. Das darf nicht sein.

Und: In der niederländischen Provinz Groningen liegt das größte Gasfeld Europas. Weil bei Bohrungen künstliche Erdbeben ausgelöst wurden, soll die Förderung im Jahr 2024 beendet werden. Betroffen sind 26.000 Hausbesitzer. Die aber ließen sich womöglich entschädigen. Jedenfalls sollte auch hier das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.

Wladimir Putin war der Dealer, Deutschland der Junkie: Sich aus dieser Abhängigkeit schnell und klimaneutral zu befreien, ist das Gebot. Eine Ampel, die sich im Kleinklein erschöpft, nährt die Unzufriedenheit und die Sehnsucht nach einer politischen Alternative.

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