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Von Gerd Appenzeller Von Ingrid Müller: Sturm aus Südwest

Der Politikertypus Mappus ist von gestern Beck hält sich – ist aber ein Verlierer

Stand:

Auch eine angekündigte Katastrophe bleibt eine Katastrophe. Im letzten Winkel seines Verstandes hofft jedoch jeder Wahlkämpfer bis zur letzten Minute, dass Meinungsumfragen nur ein Trugbild sind, dass am Wahltag ein Wunder geschieht. Helmut Kohl war 1998 im Wahlkampf unbeirrt im Glauben an diese Bestätigung seiner Regierungstätigkeit in der Abgeschiedenheit der Wahlkabine. Damals griff keine himmlische Macht ein, und diesmal konnte auch eine höhere Wahlbeteiligung Stefan Mappus nicht das Amt retten. Die CDU in Baden- Württemberg von den Schalthebeln der Macht vertrieben – das ist, als sei in Bayern die CSU zur Opposition verdonnert.

Die Grünen, wenn auch nur knapp vor der SPD, mit der Option, erstmals in der Bundesrepublik einen Regierungschef stellen zu können – das ist vor allem für die FDP eine Schmach. Jener Protestpartei, die die Liberalen seit Jahren als den eigentlichen politischen Gegner ausgemacht haben, wird nun vom Wähler eine Rolle zugemessen, von der die FDP vielleicht einmal geträumt hat, an die sie aber ernsthaft nie glauben durfte. Die Grünen können offenbar mit ihrem ganz speziellen Profil Wähler über viele Legislaturperioden hinweg an sich binden, während genau dies der FDP wegen zunehmender Profillosigkeit nicht gelingt.

Was immer der glücklose Regierungschef jetzt an Gründen für die Blamage finden sollte, wird er sich selbst und seine Rolle infrage stellen müssen. Dazu ist er, so sah es am Abend aus, bereit. Seine Zeit als Ministerpräsident wäre wohl selbst ohne die japanische Tragödie am Sonntag zu Ende gegangen. Seit Stuttgart 21 gab es keinen Zweifel mehr daran, dass dieser Ministerpräsident auf eine erschütternde Weise aus der Zeit gefallen war, dass er sich als Politikertypus selbst überlebt hatte. Der letzte baden-württembergische Regierungschef, der mit bürgerlichen Protesten so arrogant umging, war Hans Filbinger mit seinen Verunglimpfungen der Gegner des Kernkraftwerkprojekts Wyhl. Das aber ist mehr als 30 Jahre her.

Die Schlappe der Union ist aber nicht nur eine des Stefan Mappus, sondern auch eine seiner Entourage, die glaubte, das Land clever- geschäftsmäßig im Griff zu haben und dem Volk verordnen zu können, was zu seinem Segen sei. Unter Lothar Späth und Erwin Teufel war das noch anders. Daran wieder anknüpfen zu können, erfordert wohl einen Umbesinnungsprozess von der Basis her.

Ganz anders sieht es bei der FDP aus. Hier ist es der Mann an der Spitze, der Parteichef selbst, der vor allem seine Truppe die Glaubwürdigkeit kostet. Wenn in Baden-Württemberg, dem Stammland der Liberalen, diese Partei so an der Existenzgrenze steht, dann lässt sich die Befindlichkeit nicht durch ein Bauernopfer verbessern.

Noch einer ist Verlierer, auch wenn er sich jetzt als Sieger fühlt: Die SPD. Von ihrem katastrophalen Ergebnis vor fünf Jahren, dem zweitschlechtesten der Sozialdemokratie in der baden-württembergischen Geschichte, sind die Genossen noch einmal abgerutscht, trotz eines respektablen Spitzenkandidaten. Auch hier hilft wohl nur der Blick nach Berlin bei der Ursachenforschung.

Hat sich vielleicht doch etwas verändert in Rheinland-Pfalz? Das ist das Bundesland, dessen Wahlkämpfer sich im Windschatten von Baden- Württemberg beharkt haben; das „Durchfahrland“, im Rest der Republik oft der Inbegriff von Provinz und Provinzialität. Tatsächlich, es sieht nach Wandel aus.

Der scheinbar ewige Ministerpräsident Kurt Beck von der SPD hat zwar noch immer so viele Anhänger, dass es offenkundig noch einmal zu einer Koalition – diesmal mit den Grünen – reichen würde. Aber die Marke von 2006, als er mit 45,6 Prozent das beste SPD-Ergebnis im Land und sogar die absolute Mehrheit der Mandate erzielte, ist in weite Ferne gerückt. Dass das nicht zu wiederholen sein würde, war dem 62-Jährigen klar, doch hatte er selbst als Ziel 40 plus x ausgegeben. Immerhin war Beck so klug, inzwischen auch die Nähe der Grünen zu suchen, die er vor einigen Jahren noch einen Risikofaktor nannte.

Seine vorrangige Parteiaufgabe wird es jetzt sein müssen, nicht als der einzig Starke weiterwirken zu wollen, sondern konsequent einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin aufzubauen – und nach vorne zu schieben. Trauen sich die Sozialdemokraten in Mainz, ihre auch bundesweit profilierte Bildungsministerin Doris Ahnen in die vorderste Reihe zu schieben, die schon mehrfach für Bundesaufgaben im Gespräch war, aber dann doch immer zweite Siegerin blieb? Oder würden sie ein Frauenduell gegen Julia Klöckner fürchten?

Bei der CDU konnte es nach dem schlechtesten Ergebnis bei Landtagswahlen im Jahr 2006 kaum schlimmer werden. Sie hat mit der 38-jährigen Klöckner bereits ein frisches Gesicht an den Start geschickt. Und sie hat es aus CDU-Sicht durchaus geschickt verstanden, gegen Beck zu polemisieren, gleichzeitig aber seine Art zu übernehmen, auf die Menschen zuzugehen. So ist sie ihm diesmal gehörig nahegerückt: Nah bei den Leuten im Land, gut vernetzt im Bund. Das ist wohl etwas, das auch Rheinland-Pfälzer mit dem notorisch verbreiteten Minderwertigkeitsgefühl zu schätzen wissen. Immerhin gibt es dort eine ganze Reihe Firmen, die in der globalisierten Welt ihr Geld verdienen, an denen Arbeitsplätze daheim hängen.

Rein rechnerisch könnte es unter Umständen für eine schwarz- grüne Mehrheit reichen. Allerdings hätten die Grünen dann ein Glaubwürdigkeitsproblem, denn bisher hatten sie sich an die SPD gehalten. Ob sie einen solchen Schwenk nicht zuletzt mit Blick auf die Berliner Wahlen im September eingehen wollten, wenn sie so oder so mitregieren könnten? Dass die beiden jüngeren Spitzenleute die Grünen nicht nur zurück ins Landesparlament führen können, sondern womöglich in die Regierung – da hat schließlich der Rückenwind aus dem Bund erheblich geholfen.

Bleibt die FDP, die größte Verliererin des Wahlabends in Mainz. Auch ohne Rainer Brüderles Atom-Äußerungen haben einige ohnehin nur noch am Landeschef festgehalten, weil sie meinten, noch gehe es ohne ihn dort nicht. Aber: Nur 1983 schaffte es die FDP bisher nicht in den Landtag. Von einem Abgang Brüderles würden sich jüngere Liberale über Mainz hinaus einiges versprechen.

Gerd Appenzeller

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