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Tolerieren dürfen, ohne bekennen zu müssen: Was französische Fußballer mit offener Gesellschaft zu tun haben
Das Einfordern öffentlich geäußerter Zustimmung hat etwas Totalitäres. Diese Praxis verbreitet sich aber auch in freiheitlichen Demokratien.
Stand:
Sind französische Fußballer schwulenfeindlich und transphob? Einige Profis haben sich geweigert, an einer Aktion der ersten und zweiten französischen Liga teilzunehmen und Trikots mit Regenbogenfarben zu tragen.
Nicht nur der französische Regierungssprecher geißelte dieses Verhalten als „miserabel“. Auch „ZDF heute“ war umgehend mit einem moralischen Urteil zur Stelle: „Vorbildlich“ seien die Spieler, die das Trikot trugen. Dabei waren im Überschwang des guten Gewissens allerdings die Kategorien durcheinandergegangen. Es handelte sich bei der Chose nämlich nicht um eine „Toleranzaktion“, wie das ZDF meinte, sondern um eine Demonstration von Zustimmung, die von den Spielern erwartet wurde. Und das macht einen ziemlich großen Unterschied.
„Toleranz ist eine Zumutung“
Toleranz kommt vom lateinischen „ertragen, erdulden“ und bedeutet, wie Altbundespräsident Gauck es so treffend ausgedrückt hat, „die Andersartigkeit eines Anderen auszuhalten, obwohl mich seine Meinung, sein Verhalten, sein Lebensstil, unter Umständen ganz einfach seine Existenz irritieren, ärgern oder gar wütend machen – auf jeden Fall: stören. Toleranz ist insofern eine Zumutung“. Sie ist die Grundlage einer pluralistischen Gesellschaft, die gleiches Recht für alle und das Recht auf freie Meinung verbindet.

© AFP/NICOLAS TUCAT
Das ist etwas grundlegend anderes als das Einfordern öffentlich geäußerter Zustimmung, das nicht umsonst immer schon ein Machtinstrument totalitärer Systeme war. Die öffentlich-rechtliche Empörung über die Fußballspieler ist aber nur eines von vielen Indizien, dass Bekenntniszwang auch in demokratischen Gesellschaften verbreitet ist und immer weiter zugenommen hat.
Die einen machen dabei mit und hissen Flaggen. Andere reagieren auf öffentlichen Meinungsdruck und moralischen „Überwältigungsgestus“ (Gauck) mit Abwehr. Diese „Reaktanz“, so der sozialpsychologische Fachbegriff, reicht von stiller Abwendung bis zu aggressiver Überreaktion. Dass sich identitätspolitische Revolution und populistische Gegenrevolution gegenseitig aufschaukeln, hat die sozialwissenschaftliche Forschung deutlich herausgestellt.
Liberale Demokratie bedeutet, sexuelle Vielfalt zu tolerieren, ohne Regenbogentrikots tragen oder Flaggen hissen zu müssen – tolerieren zu können, ohne bekennen zu sollen. Es wäre gut für die offene Gesellschaft, diesen grundlegenden Unterschied zu beherzigen.
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