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Was WISSEN schafft: Unkalkulierbares Risiko

Seit nunmehr elf Jahren streitet die Wissenschaft erbittert um eine scheinbar triviale Frage, ohne dass auch nur im Entferntesten eine Antwort in Sicht ist. Stein des Anstoßes ist die genveränderte Maissorte MON810 des US-Herstellers Monsanto.

Bereits 1998 genehmigte die EU den Anbau von MON810 und die Verwendung als Futtermittel. Auch aus MON810 hergestellte Lebensmittel und Lebensmittelzutaten dürfen uneingeschränkt in Verkehr gebracht werden.

Weltweit werden auf rund 125 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut, das entspricht der dreieinhalbfachen Fläche der Bundesrepublik. Ob süße Snacks, Suppen oder Fertigbackwaren – gentechnisch veränderte Lebensmittel sind, insbesondere bei Importprodukten, schon lange ein fester Bestandteil des deutschen Speiseplans. Auch Fleisch und andere tierische Produkte stammen häufig aus der Mast mit genverändertem Mais oder Soja.

Doch so richtig appetitlich finden die Deutschen, wie auch die Mehrheit der EU-Bürger, das nicht. Nach dem öffentlichen Aufschrei um die Zulassung von MON810 setzte die EU noch im Jahr 1998 durch ein De-facto-Moratorium die weitere Genehmigung gentechnisch veränderter Pflanzen aus. So blieb der Genmais von Monsanto bis heute das einzige gentechnisch veränderte Saatgut, das in der EU kommerziell angebaut wird.

Auf nationaler Ebene gibt es weiterhin mehr oder minder offenen Widerstand. Deutschland zögerte den Anbau durch umfangreiche Prüfungen nach dem Saatgutverkehrsgesetz bis 2006 hinaus. Frankreich, das neben Spanien als einziges EU-Land nennenswerte Mengen Genmais anbaute, sprach Ende 2007 ein Verbot aus, unter Berufung auf eine Gesundheitsschutzklausel im EU-Recht. Griechenland und Polen weigern sich einfach, die EU-Genehmigung für MON810 umzusetzen. Österreich und Ungarn haben den Anbau generell verboten.

Die EU-Kommission tobt angesichts dieser offenen Rechtsverstöße. Eine Weisung der Kommission an Österreich und Ungarn zur Zulassung von MON810 wurde jedoch am Montag vom Rat der Umweltminister verhindert. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) unterstützte die Genmais- Blockade, gegen den ausdrücklichen Wunsch des CDU-geführten Bundesforschungsministeriums. Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) wiederum äußert sich neuerdings kritisch gegenüber der grünen Gentechnik.

Erstaunlicherweise berufen sich beide Seiten auf Gutachten hochkarätiger Wissenschaftsgremien. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat MON810 wiederholt für unbedenklich erklärt, ebenso wie die zuständigen Stellen in den USA. Dagegen legte die französische Lebensmittelbehörde (AFSSA) im Januar 2008 ein umfangreiches Gutachten vor, wonach eine Umweltgefährdung durch den Anbau von MON810 nicht ausgeschlossen werden könne.

Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass die Risikoabschätzung bei der EU-Zulassung 1998 zu optimistisch war. So zeigen neuere Studien, dass eine unkontrollierte Weiterverbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen praktisch nicht zu verhindern ist. Dies geschieht durch Verunreinigung von Saatgut, durch Saatgutreste auf landwirtschaftlichem Gerät und durch Pollenflug auf benachbarte Felder. Die Maissorte MON810 wurde gentechnisch so verändert, dass sie ein Gift gegen den Maiszünsler produziert, dessen Larven sich in die Stängel der Maispflanze fressen. Er hat sich in Deutschland ausgebreitet, weil beim maschinellen Maisanbau im großen Stil die Stoppeln, in denen sich die Larven verpuppen, nicht mehr untergepflügt werden. Das Gift wirkt aber, in geringerem Ausmaß, auch auf andere Insektenarten und auf Würmer. Eine unkontrollierte Ausbreitung könnte deshalb langfristige Auswirkungen auf das Ökosystem haben.

Angesichts dieses nicht kalkulierbaren Risikos muss gefragt werden, welchen Nutzen MON810 eigentlich bringt. Der Maiszünsler kann auch mit konventionellen landwirtschaftlichen Methoden (Einpflügen der Stoppeln, Schlupfwespen) kontrolliert werden. Die Politik muss deshalb für eine Entscheidung gar nicht warten, bis die Wissenschaftler aufhören zu streiten.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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