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Meinung: Urteil zum Schächten: Man muss daran glauben

Tierschützer werden dies für eine Zumutung halten - und nicht nur sie: Das oberste deutsche Gericht hat sich in der Abwägung zwischen dem gesetzlich verbrieften Tierschutz und der freien Religionsausübung für die Glaubensfreiheit entschieden. Das Bundesverfassungsgericht hob das Verbot des so genannten Schächtens nun auch für Muslime auf.

Tierschützer werden dies für eine Zumutung halten - und nicht nur sie: Das oberste deutsche Gericht hat sich in der Abwägung zwischen dem gesetzlich verbrieften Tierschutz und der freien Religionsausübung für die Glaubensfreiheit entschieden. Das Bundesverfassungsgericht hob das Verbot des so genannten Schächtens nun auch für Muslime auf.

Beim Schächten geht es grausam zu. Ohne Betäubung werden mit einem Messer Halsschlagader und Luftröhre durchtrennt, so blutet das noch lebende Tier vollständig aus. Ein brutaler Akt von Tierquälerei - nach modernen westlichen Wertvorstellungen. Ganz anders sehen es viele gläubige Muslime und Juden. Ihnen gilt nur das geschächtete Fleisch als "rein", das Schächten ist Religionsausübung und Ernährung zugleich. Beides zusammen betrifft einen Kernbereich der Kultur.

Es geht um mehr als den Tierschutz und das Schächten, nämlich um den Konflikt zwischen Glaubensfreiheit einerseits, den Grundwerten der modernen säkularisierten Gesellschaft andererseits. Zwischen beidem gibt es Reibungspunkte, die unterschiedlichen Interessen müssen immer neu verhandelt werden. Als zum Beispiel das Verwaltungsgericht Stuttgart einer moslemischen Lehrerin das Tragen ihres Kopftuchs im Unterricht verbot, reagierten viele empört. Sie sahen die freie Ausübung der Religion in Gefahr. Andererseits hagelte es Proteste, als ein Gericht in Rheinland-Pfalz den Bau eines 18 Meter hohen Minaretts samt Lautsprecheranlage erlaubte. Diese Beschallung empfanden viele Christen als Zumutung.

Ausländer, die in die Bundesrepublik kamen, brachten ihre Kultur, ihre Religion mit; die Deutschen haben - wenn vielleicht auch manchmal mühsam - gelernt, Fremdes auszuhalten und zu akzeptieren. Inzwischen ist die Toleranz ein selbstverständlicher, ein zentraler Wert. Das tut dem Land gut.

Aber nicht nur. Der 11. September hat viele Gewissheiten ins Wanken gebracht. Der Multikulti-Frieden - ein Traum von Idealisten? Ausgerechnet in Deutschland wurden die Terroranschläge vorbereitet, bei den islamistischen Kämpfern galten die Deutschen als naive Dummköpfe. Hier war die Gefahr aufzufliegen besonders gering.

Das gibt zu denken und zwingt zum Handeln. Innenminister Schily hat gehandelt. Das Religionsprivileg wurde gestrichen, unmittelbar danach der "Kalifatsstaat" verboten. Das ist auch eine entschiedene Warnung an alle Islamisten, die unter dem Deckmantel der Religionsgemeinschaft ihren heiligen Kampf gegen die moderne Zivilgesellschaft führen wollen. Es ist kein Zufall, dass Schily für sein hartes Vorgehen viel Zustimmung bekam und der erwartete Reflex der Empörung nahezu völlig ausblieb.

Toleranz muss Grenzen haben - erst der 11. September hat diese einfache Erkenntnis ins Bewusstsein gerückt. Demokratie, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Freiheit und Menschenwürde, diese Grundwerte sind nicht verhandelbar. Der offensive Umgang mit unseren Überzeugungen führt - vielleicht - zu einem neuen, ehrlichen Multikulti.

Aber Vorsicht: Ressentiment-geladen zu sein, diesen Ruf hatten die Deutschen lange. Schlägt das Toleranz-Pendel jetzt wieder in die andere Richtung? Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt eine klare Antwort: nein, im Gegenteil.

Lange endete die Religionsfreiheit beim Tierschutz. Noch vor einem Jahr wies dasBundesverwaltungsgericht die Klage eines Schächters ab. Karlsruhe hat jetzt ein anderes, ein klares Bekenntnis für die freie Religionsausübung der Muslime abgegeben. Das Urteil erkennt die Berechtigung verschiedenster Glaubensströmungen an. Der Islam wurde dadurch aufgewertet, denn für Menschen jüdischen Glaubens gilt das Schächten schon länger als "zwingende Vorschrift" ihrer Religion. Ihnen wurde es erlaubt, den Muslimen blieb das Schächten verboten. Auch gegen diese Ungleichbehandlung hat der Metzger Rüstim Altinküpe geklagt. Und Recht bekommen.

Allen, denen beim Gedanken ans Schächten graust, sei gesagt: Auch beim Jagen gibt es keine Betäubungsspritzen. Und auf den heimischen Schlachthöfen geht es oft grausam zu. Wir schauen nur nicht hin. Und kaum einer klagt.

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