Von Fabian Leber: Wenn es nicht stimmt
Ein Wahlsieg dank Überhangmandaten würde das Regieren für Merkel einfacher machen
Stand:
W elche Konstellation wird mehr Stimmen bekommen? Ein Bündnis aus Union und FDP, oder SPD, Grüne und Linke zusammen? Das ist die maßgebliche Frage dieses Wahlkampfs, doch sie ignoriert, dass auch eine dritte Option möglich ist: Union und FDP können regieren, obwohl sie zusammengenommen weniger Stimmen erhalten haben als die drei übrigen Parteien. Möglicherweise, so haben es Wahlforscher errechnet, reichen bereits 44 bis 45 Prozent der Wählerstimmen für Schwarz-Gelb.
Eine solche parlamentarische Mehrheit würde ausschließlich auf sogenannten Überhangmandaten beruhen. Sie entstehen, wenn eine Partei nach Zweitstimmen eher schwach abschneidet, trotzdem aber viele Direktmandate über die in den Wahlkreisen maßgebliche Erststimme gewinnt. In der Geschichte haben sowohl Union als auch SPD von Überhangmandaten profitiert, sowohl Kohl als auch Schröder konnten damit ihre Regierungsmacht festigen.
Nie aber wurde durch Überhangmandate die Zusammensetzung des Parlaments entscheidend verändert. Darauf vorbereitet ist keiner der Beteiligten, auch wenn bereits jetzt für den Ernstfall kalkuliert wird. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, kritisiert, eine mögliche Mehrheit für Schwarz-Gelb würde „auf einem verfassungswidrigen Wahlrecht beruhen“. Die Kanzlerin sagt, sie wolle auch mit Überhangmehrmandaten regieren. Diese seien keine „Mandate zweiter Klasse“.
Recht hat Angela Merkel, denn das Bundesverfassungsgericht hat zwar Teile des geltenden Wahlrechts als verfassungswidrig verworfen. Es hat dem Bundestag aber bis 2011 Zeit für eine Neuregelung gegeben, und es hat genau genommen noch nicht einmal die Überhangmandate selbst, sondern eine andere Ungereimtheit kritisiert – den Effekt, dass eine Partei Mandate verlieren kann, wenn sie in einem Land Stimmen gewinnt.
Oppermanns Kritik ist noch aus einem anderen Grund unredlich. Die SPD hätte die Möglichkeit gehabt, das Wahlgesetz zusammen mit Grünen und Linken in diesem Sommer zu ändern. Dass sie dem widerstanden hat, folgte nicht nur der Logik der großen Koalition, sondern auch einem historischen Konsens. Das Bundeswahlgesetz kann zwar anders als die Verfassung mit der einfachen Mehrheit des Bundestags geändert werden, doch es beruht auf einer stillen Übereinkunft aller am Machtspiel beteiligten. Mit einer hastigen Änderung des Wahlgesetzes zum Ende der Legislaturperiode ohne Beteiligung von Union und FDP wäre dieser republikanische Konsens gebrochen worden.
Merkel wiederum hat sich jetzt selbst die schwierige Pflicht auferlegt, den Wählern erklären zu müssen, warum sie mit der FDP regieren will, selbst wenn diese Konstellation nicht die Mehrheit der Wählerstimmen erhält. Ihr machtvolles Vorwärtsdrängen ist kurzfristig nicht ohne Risiko. Auf lange Sicht aber würde das Regieren für die Kanzlerin einfacher. Je knapper die Mehrheit, umso größer die Disziplin – mit dieser Methode hatte schon Gerhard Schröder über Jahre die Verwerfungen in seiner eigenen Partei kaschiert.
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