
Angela Merkel: Wenn sie Rio Reiser wär’
Tja, wenn Angela Merkel Königin von Deutschland wäre? Auf jeden Fall hat unser Kolumnist Helmut Schümann schon einmal bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen ihren Äußerungen und den Textzeilen des Sängers entdeckt
Wenn Rio Reiser, wie gewünscht, König von Deutschland geworden wäre, sähe Deutschland gewiss anders aus. Leider ist der Sänger von „Ton Steine Scherben“ schon 1996 verstorben. So wurde es nichts mit täglichem Schampus und dem kräftigen Biss in die Wade des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan. 1986 kam der Song raus, entstand aber schon in den Siebzigern. Man darf schon sagen, dass er auch heute noch zum erweiterten deutschen Kulturgut gehört. Dass das erweiterte damals noch bundesdeutsche Kulturgut auch im Bruderland außer in Dresden vernommen wurde, kann man voraussetzen. Aber auch „Ton Steine Scherben“. Auch in Templin, wo unsere Kanzlerin aufgewachsen ist und nach ihrer Zeit bei den „Pionieren Ernst Thälmann“ Funktionärin der FdJ war? Templin liegt im Landkreis Uckermark in Brandenburg, und ohne den Templinern, den Uckermärkern, den Brandenburgern zu nahe treten zu wollen, darf man doch eher skeptisch sein, dass sie dort wissen, wer „Ton Steine Scherben“ waren und wer Rio Reiser war. Der verhinderte König von Deutschland.
Der mit den markigen Songtexten und eingängigen Textzeilen. Eine geht so: „Wir werden es schaffen.“ Eine andere lautet: „Wir sind zwei von Millionen, aber wir sind nicht allein.“ Eine dritte: „Wir sind 60 Millionen.“ Dämmert’s?
Vor einigen Wochen sagte die Kanzlerin zur Flüchtlingsfrage, dass wir es schaffen werden. Jetzt sagte sie gegen die Sorge vor Überfremdung: „Ja, es sind sehr, sehr viele. Aber wir sind 80 Millionen.“ Bekanntlich hat sich das Land seit 1986 vergrößert, wir sind eben nicht mehr 60 Millionen, wir sind 80 Millionen. So langsam wird mir diese Kanzlerin unheimlich. Erst beharrt sie entgegen aller internen Kritik, trotz einem leichten Einknicken bei der Abschiebepraxis, auf ihrem humanen Kurs den hilfebedürftigen Menschen gegenüber, und nun zitiert sie Rio Reiser, den König auf jeden Fall der linken Barden. Man hatte sie sonst eher bei Wagner in Bayreuth verortet. Angela Merkel eine wie Erich Honecker, über den Udo Lindenberg einst mutmaßte, er sei tief drin doch eigentlich auch ein Rocker aus Pankow? Wahrscheinlich sind die textlichen Überschneidungen nur Zufall und nur Beleg dafür, wie weise Rio Reiser war. Aber schön ist es doch. Ein pensionierter Lehrer lobte auch im Namen eines Freundes die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. „Da sind wir ja schon drei“, sagte Merkel. Nein, vier, und hoffentlich bald 80 Millionen.