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Kommentar: Willkürland

Das ist Brandenburg: Zwei Stasi-Fälle – zwei ungleiche Verfahren. Eine Erbsünde.

Stand:

Im Innenministerium des Landes Brandenburg ist im Jahr 1993 einem Mann gekündigt worden, der 1968 als 19-Jähriger für kurze Zeit der Stasi als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) diente. Der Mann hatte sich selbst, wie die Stasi vermerkte, mehrfach dekonspiriert. Er stieg aus. Die Stasi sah ein, dass es keinen Sinn machte. 21 Jahre später – der Mann fuhr in Ost-Berlin Krankenwagen – bekommt er Kontakt zu Pfarrer Rainer Eppelmann und anderen Oppositionellen. Er arbeitet in Wendezeiten aktiv mit, erwirbt sich enorme Verdienste, entdeckt Stasi-Akten, den Zugang zu einem Bunker, enttarnt Stasi-Mitarbeiter und sichert auch wichtige Personaldaten. Er wird Mitarbeiter eines Mitbegründers der Ost-SPD in der ersten freien Volkskammer der DDR. Dann kommt er ins Innenministerium des Landes Brandenburg und setzt sein Kreuz bei der Frage nach einer früheren IM-Tätigkeit bei nein. Weil das gelogen war, wird ihm von Innenminister Alwin Ziel (SPD) gekündigt. Im Innenministerium verschwinden auf wundersame Weise genau die Passagen seiner Stasi-Akte, die seine Selbst-Dekonspiration belegen, als sich der Petitionsausschuss des Landtages halbherzig um den Fall kümmert. Für diesen Mann gibt es keine Gnade. Er schlägt sich durch. Meist war er arbeitslos. Die Gesundheit leidet. Er lebt am Existenzminimum.

Im Jahr 1984 verpflichtet sich eine 29-jährige Assistentin der Wirtschaftswissenschaften der Humboldt Universität Berlin bei der DDR-Spionageabwehr als IM. Schon davor hatte sie Kontakte dorthin. Sie macht dies – so viel ist belegt – über Jahre. Die Frau ist (West-)Reisekader. Und SED-Kader. Sie heiratet einen Mann, der auch IM ist. Beide haben in Berlin den selben Führungsoffizier. Zusammen sollen sie ab 1986 für die Abteilung XX der Stasi in Potsdam spitzeln. Der Grund: der Mann, promoviert, einst so hoher IM, dass er eigene IM geführt hat, hat in Berlin keine ihm genehme Arbeit gefunden. Beide ziehen nach Potsdam. Sie arbeitet an der Pädagogischen Hochschule der DDR in der Sektion für Marxismus/Leninismus. Da nützt sie der Spionageabwehr wenig. Daher die Akten-Übergabe an die Abteilung XX in Potsdam. Die bespitzelt und zersetzt Oppositionelle und Kirchenkreise wie Rainer Eppelmann und die Gründer der Ost-SPD. Im Wendejahr 1989 promoviert sie über Rechnungsführung und Kooperationen in sozialistischen Wirtschaftseinheiten. Im Jahr 1991 kommt sie ins brandenburgische Arbeitsministerium und setzt ihr Kreuz bei der Frage nach einer früheren IM-Tätigkeit bei nein. 1994/95 fliegt der Schwindel auf. Sie erklärt ihrem Arbeitgeber, sie sei erpresst worden. Der glaubt ihr. In den Akten steht davon nichts. Überprüft wird später: nichts. Sie bekommt eine Abmahnung und macht danach ungestört und steil Karriere. Heute ist sie Referatsleiterin. In acht Jahren kann sie mit vollem und gutem Rentenanspruch in Pension gehen.

Warum ist in Brandenburg bei dem einen so entschieden worden und bei der anderen anders? Und bei wieder anderen noch anders? Von Ministerium zu Ministerium unterschiedlich?

Wer erklärt Harry E., warum sein Berufsleben 1993 endete, während es bei Angelika N. nach 1994 aufwärts ging? Wer erklärt Angelika N., warum sie plötzlich doch ein Problem ist? Wer schafft hier Ausgleich? Wo ist das Maß, nachdem so und so entschieden worden ist?

Es geht nicht darum, dass die andere nicht hätte weiter arbeiten dürfen oder der eine hätte arbeiten müssen. Es geht nicht darum, in Brandenburg blind die Stasi zu jagen und immer wieder aus Sadismus Schorf von Wunden zu kratzen. Es geht nicht um Rache. Um Aufrichtigkeit geht es. Darum, dass es in einem Rechtsstaat klare, einheitliche Normen gibt - das gleiche Recht für alle gilt. Darum, dass nach der Willkür der Diktatur in Brandenburg beim Umgang mit Tätern und Opfern die Willkür in die Demokratie eingezogen ist – bis heute. Eine Erbsünde auf dem Regierungsstuhl.

Wer übernimmt tatsächlich und konkret dafür Verantwortung?

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