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Gefühlte Brandmauer: Ministerpräsident Dietmar Woidke (l.) und AfD-Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt (r.) am Wahlabend in einem Fernsehstudio.

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Woidke und der Preis des Sieges: AfD gebremst, Demokratie geschwächt

War es das wert, Herr Woidke? Mit einer Brechstangen-Taktik hat die SPD in Brandenburg den Sieg erzwungen. Doch das könnte das ganze Land einen hohen Preis kosten.

Karin Christmann
Ein Kommentar von Karin Christmann

Stand:

Zur Brechstange hat Dietmar Woidke in Brandenburg gegriffen. Und wie es so ist, wenn einer die Fassade abreißt: Die Fundamente werden sichtbar. Das, was noch trägt – oder eben nicht mehr.

Maximal zugespitzt war die Frage des Ministerpräsidenten an das Wahlvolk: Wollt Ihr mich oder wollt Ihr die? Die Antwort darauf muss die ganze Republik schmerzen.

Denn ja, Woidke hat den Wahlsieg der SPD erzwingen können. Doch der Blick auf das Ergebnis legt einen Zusatz dringend nahe: noch.

Dieses Mal haben die Menschen, die 70 Jahre oder älter sind, Woidke das Amt gerettet. Bei ihnen hat die SPD weit größeren Zuspruch bekommen als in allen anderen Altersgruppen. Eine Zukunft lässt sich darauf aber nicht bauen.

Bei jenen nämlich, die zum ersten Mal ihre Stimme abgegeben haben, liegt die rechtsextreme AfD mit 30 Prozent weit vorn. Die SPD folgt mit großem Abstand, sie hat nur 19 Prozent der Erstwählerinnen und Erstwähler überzeugen können.

Das bedeutet: Es wachsen viele Menschen ins Erwachsenenleben hinein, deren innere Normalnull überhaupt nie auf die demokratischen Parteien geeicht wurde. Für die es im schlimmsten Fall eine Selbstverständlichkeit ist, der AfD ihre Stimme zu geben. Die in dieser Partei eine Heimat finden.

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Die AfD als Volkspartei des Ostens

67 Prozent aller Menschen, die die AfD gewählt haben, sagen, dass sie große Sorgen haben, ob sie ihren Lebensstandard werden halten können. Diese Zukunftsängste treffen natürlich auch die Jungen.

Doch es wäre zu einfach, darin die alleinige Antwort zu suchen. Denn auch dort, wo die Wirtschaft floriert, feiert die AfD Erfolge. Nicht nur politisch, nicht nur sozial, auch kulturell hat sich etwas verfestigt. Das zeigen die Wahlergebnisse in Brandenburg genauso wie sie es in Sachsen und Thüringen gezeigt haben. Mit weitem Abstand liegt Zuwanderung bei den Menschen, die AfD gewählt haben, als entscheidendes Thema vorn.

52
Prozent der Menschen, die die AfD gewählt haben, haben das aus voller Überzeugung getan – und nicht aus Enttäuschung über andere Parteien

Unter Arbeiterinnen und Arbeitern hat die AfD nur knapp die absolute Mehrheit verpasst. Jeder Fünfte, der die AfD wählt, fände es gut, wenn in Deutschland nur Deutsche leben würden. Zwar haben 42 Prozent der Menschen, die ihre Stimme der AfD gegeben haben, das aus Enttäuschung über die anderen Parteien getan. Noch mehr aber, nämlich 52 Prozent, haben aus voller Überzeugung die AfD gewählt.

Ist doch super, dass wir gewonnen haben.

Kommentar von Bundeskanzler Scholz zum Wahlergebnis in Brandenburg

Die AfD als Volkspartei des Ostens: Das ist der traurige Befund der Stunde. Es ist ein Schrecken, an den das Land sich schon zu sehr gewöhnt hat, trotz aller rituell vorgebrachter Appelle und Beschwörungen.

„Ist doch super, dass wir gewonnen haben“, so kommentierte Bundeskanzler Scholz von New York aus fröhlich das Wahl-Ergebnis seiner Partei. Der Dramatik der Lage angemessen ist das nicht. Und es lässt befürchten, dass der Kanzler das Ergebnis wieder einmal als Bestätigung sehen wird: dass die SPD eben doch noch siegen kann, dass das Wahlvolk am Ende doch erkennt, dass es bei den Sozialdemokraten gut aufgehoben ist.

Die demokratische Mitte wurde geschwächt

Auch Woidke lobte sich am Wahlabend unverdrossen selbst. Er fand große Worte, ordnete seinen Erfolg gar ins Historische ein: Wie schon so oft in der Geschichte hätten Sozialdemokraten Extremisten auf ihrem Weg zur Macht gestoppt, sagte er.

Das aber stimmt womöglich nur für den Moment. Und es kostet die SPD und mit ihr Brandenburg und die Republik einen hohen Preis.

Denn Woidke hat die demokratische Mitte insgesamt geschwächt, um die AfD zu stoppen. Seine Brechstangen-Strategie hat die Grünen wohl den Wiedereinzug in den Landtag gekostet. Und sie hat auch die CDU mit ihrem glücklosen Spitzenkandidaten Jan Redmann verzwergt.

Im Ergebnis geht künftig nichts ohne das BSW. Die Zukunft Brandenburgs hängt ab vom Gutdünken einer Populistin, die lieber heute als morgen alle Waffenlieferungen für die Ukraine einstellen würde und die sehr genau weiß, wie sie die Hebel der Macht, an denen sie plötzlich sitzt, zu nutzen hat.

Dietmar Woidkes Alles-oder-nichts-Logik hat ihn durch den Wahlkampf getragen. Für alles, was jetzt kommt, eignet sie sich nicht. War es das wert, Herr Woidke? Das ist die Frage, vor der ganz Brandenburg nun steht.

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