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Nazi-Vergangenheit des Suhrkamp-Verlegers: Siegfried Unseld wusste von seiner NSDAP-Mitgliedschaft
Vergangene Woche noch wurde die NSDAP-Mitgliedschaft des Suhrkamp-Verlegers Unseld „entdeckt“. Jetzt werden Belege dafür veröffentlicht, dass er sich zu seinem Eintritt in die Partei bekannt hat.
Stand:
Nachdem der Historiker Thomas Gruber vergangene Woche in der „Zeit“ von seiner zufälligen Entdeckung der NSDAP-Mitgliedschaft des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld berichtet und die Wochenzeitung daraus den „Fall Unseld“ konstruiert hatte, wird nun eifrig nach Belegen und Aussagen über Unselds Nazi-Vergangenheit geforscht.
Der Leiter des Siegfried-Unseld-Archivs im Deutschen Literaturarchiv (DLA) in Marbach, Jan Bürger, und die Buchwissenschaftlerin Ulrike Anders haben am Donnerstag in der „FAZ“ Dokumente aus dem Landesarchiv Baden-Württemberg in Ludwigsburg vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass Unseld zweifellos von seiner Mitgliedschaft gewusst hat.
Bei seinem Entnazifizierungsverfahren im Frühjahr 1946 vor einer Spruchkammer in Ulm hat er bekannt: „Der NSDAP trat ich im Jahre 1942 mit noch nicht 18 Jahren bei. Ich hatte in dieser Organisation kein Amt. Am 20.10. 1942 rückte ich zur Marine ein.“
Der NSDAP trat ich im Jahre 1942 mit noch nicht 18 Jahren bei.
Siegfried Unseld bei seinem Entnazifizierungsverfahren 1946
Und auf einem Meldebogen „auf Grund [sic!] des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“, den Unseld am 26. April 1946 ausgefüllt hat, steht ein „Ja“ für die Mitgliedschaft bei der NSDAP und „Anwärter“ in der Rubrik „Höchster Rang“.
Des Weiteren, schreiben Bürger und Anders, habe Unseld gesagt, „automatisch in die Anwartschaft der Partei überführt“ worden zu sein. „Mitgliedsbeitrag habe ich keinen bezahlt. Versammlungen und dgl. konnte ich nicht besucht haben, da ich unm. nachher eingezogen wurde.“
Es sind Dokumente, die bei der Beschäftigung mit Unselds Leben offenbar niemand eingesehen hat, etwa Biografen wie Peter Michalzik („Unseld. Eine Biografie“, 2002) oder Willi Winkler („Kissinger und Unseld. Die Freundschaft zweier Überlebender“, 2024) und eben auch nicht die für Unseld Zuständigen im Deutschen Literaturarchiv in Marbach.
Bekannt war, woraus auch Unseld öffentlich keinen Hehl gemacht hat, die Herkunft aus einer NS-gläubigen Familie (Vater seit 1933 bei der NSDAP und der SA, 1947 verurteilt wegen Beteiligung an den Novemberpogromen 1938, Mutter bei der NS-Frauenschaft) und seine begeistert-rege Tätigkeit ab 1933 beim Deutschen Jungvolk, einer Jugendorganisation der Hitlerjugend für Jungen zwischen zehn und 14 Jahren.
Dort wurde Unseld 1940, da war er schon 16 Jahre alt, zum Oberjungzugführer befördert, wie er in dem Spruchkammer-Bogen bekennt, bis 1942. Und: „Als O.Jungzugführer versah ich meinen Dienst nur ehrenamtlich.“
Den Begriff „Hitler-Jugend“, in der er in seinem Alter und als Oberjungzugführer war, habe Unseld jedoch, so schreiben es Bürger und Anders, immer vermieden. Das Kürzel „DJ“ für Deutsches Jungvolk sei von ihm angegeben worden, hinter „HJ“ habe ein Nein gestanden.
Unseld, dessen Entnazifizierung am 21. November 1946 abgeschlossen wurde (da stellte die Spruchkammer in Ulm das Verfahren gegen ihn ein), hat dann auch über die Jahre im Krieg ab 1942 stets Auskunft gegeben. Er sei ein „in Nazijahren Ausgebildeter und einstiger Kriegsteilnehmer“, so steht es in seiner Chronik.
Bruchlose Nazi-Biografie
Unseld war Marinesoldat an der Ostsee und am Schwarzen Meer; die letzten Kriegstage 1945 hatte er Dienst als Funker in der Kommandozentrale von Admiral Dönitz in Flensburg, und danach war er Kriegsgefangener und Dolmetscher bei den Engländern.
Und er erzählte immer wieder die Anekdote, wie er den Russen 1944 auf der Krim schwimmend entkommen war: „Die Russen kamen, und da hat ein Offizier dann zu mir gesagt: Wollen wir nicht einfach versuchen von den Steilfelsen zu klettern und ins Meer hinauszuschwimmen und einfach versuchen, Glück zu haben? Und so haben wir es gemacht.“
Unseld hatte Glück. Nach mehreren Stunden im Schwarzen Meer wurde er von einem deutschen „Schnellboot“ aufgenommen und gerettet. Das Schwimmen bekam dann in seinem Leben eine symbolische Dimension, es wurde zu seiner Leidenschaft.
Schweigen über die NSDAP-Mitgliedschaft
So häufig Unseld diese Rettungsgeschichte zum Besten gab, so verschwiegen war er nach seiner Entnazifizierung bezüglich seiner NSDAP-Mitgliedschaft – das ist unbestritten. Zumindest sind noch keine Briefe oder Schriftsätze aufgetaucht, in denen er sich mit Zeitgenossen oder späteren Suhrkamp-Autoren darüber ausgetauscht hätte.
Aber was ändert dieses Schweigen an seiner im Grunde bruchlosen Nazi-Biografie bis 1945, deren letztes, keineswegs unwichtiges Puzzleteil dieser Eintritt in die NSDAP ist?
An den Versuchen, diese etwas frühe Biografie schöner, weniger braun zu färben, unter anderem mit der Freundschaft mit Hans Scholl beim Jungvolk, der Hinwendung zur Literatur durch diesen, einem vorgeblichen Bruch mit der NS-Zeit, „als ein Leutnant seiner Ersatzkompanie ihm in Griechenland von den Verbrechen deutscher Truppen erzählt habe“, wie es in seiner Chronik auf der Website des Suhrkamp Verlags heißt.
Das Schweigen mag das eine sein; das andere das Bemühen, der Scham und dem Bewusstsein eigener Schuld dergestalt Ausdruck zu geben, wie er es mit seiner Tätigkeit als der Aufklärung verpflichteter Suhrkamp-Verleger erfolgreich getan hat.
Abwehrhaltung?
Die Debatte um Unseld und seine NSDAP-Mitgliedschaft, so man sie denn als eine solche Debatte verstehen mag, dreht sich derweil noch eine Windung weiter. Nämlich dahingehend, dass der „Fall Unseld“ sich nicht so recht als „Fall“ entwickeln will. So wirft die „Zeit“ all denen, die dem nicht so recht nachkommen wollen, Verharmlosung vor, gar eine „Abwehrhaltung“, mündend in „eine neue Epoche deutscher Selbstvergewisserung und Selbstgewissheit.“
In großen Lettern steht über dem Text „Also eine Lappalie?“, als habe es nicht überall lange Reaktionen auf die Entdeckung von Unselds Mitgliedschaft gegeben, als sei diese nicht der Rede wert gewesen. Als gäbe es nicht weiterhin Reaktionen. Nur waren und sind diese nicht in dem alarmierenden Sinn, wie die „Zeit“ das nach ihrer großen Aufmachung gern gehabt hätte. Und aus dem einen (kein „Fall“) zwingend das andere (Normalisierung, „entspannter Umgang mit den Verstrickungen der NS-Zeit“) abzuleiten, ist ein gewagter Kurzschluss.
Ähnlich hat sich der Autor, Handke-Biograf und Journalist Malte Herwig in einem Kommentar auf Deutschlandfunk Kultur geäußert. Für zu „verhalten“ hält er die Reaktionen auf Unseld. Sie würden vor allem eins zeigen: „Die Zeitenwende ist im Kulturbetrieb angekommen.“ Und, frei nach Günter Grass, mit solchen Reaktionen würde man die braune Kloake einfach das Klo herunterspülen und sich nicht weiter mit der NSDAP-Vergangenheit auseinandersetzen.
Herwig rührt den Krieg in der Ukraine, die Stärke der AfD und eine eventuelle neue Wehrpflicht gleich mit in den seiner Meinung nach zu entspannten Umgang mit der Entdeckung der NSDAP-Mitgliedschaft Unselds, und das wirkt ziemlich irrlichternd.
Gut, dass der Schweizer Schriftsteller und Suhrkamp-Autor Adolf Muschg in eben jener neuen Ausgabe der „Zeit“ da nicht so ganz mitgehen will.
Er schreibt, dass das Feuilleton eigentlich „größere Sorgen“ haben sollte und Deutschland „Dringenderes zu tun“ hätte, „als sich mit einem Fehltritt von Geistesgrößen zu befassen, der – in Unselds Fall - 83 Jahre zurückliegt. Das Exemplarische daran in Ehren – aber seine Last muss die deutsche Geschichte tragen und ertragen.“
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