Parteitag der US-Demokraten: „Yes, she can“ – Obama schwört Demokraten auf Harris ein
Auf dem Demokraten-Parteitag in Chicago setzen sich Michelle und Barack mit umjubelten Reden für Kamala Harris ein. Gleichzeitig attackieren sie Donald Trump so offensiv wie nie.
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Der Applaus ist ohrenbetäubend und will nicht aufhören. Die ehemalige First Lady wirkt verlegen, sie versucht, die Menge zu beruhigen – doch sie hat keine Chance: Die Liebe ihrer Anhänger muss raus, sie überschütten Michelle Obama damit minutenlang. Als Obama endlich anfangen darf zu reden, hält sie die wohl bislang größte Lobeshymne auf Kamala Harris in diesem Wahlkampf. „Sie hat ein Rückgrat aus Stahl, sagt Obama. Sie ist eine der am meisten qualifizierten Menschen, die jemals das Präsidentenamt angestrebt haben.“ Dann ruft sie, wieder unter Riesenapplaus: „Amerika, die Hoffnung kehrt zurück!“
Im Original lautete ihr Satz „America, hope is making a comeback“ – und er war eine Anspielung auf die „Hope“-Kampagne ihres Mannes, mit der er 2008 die Wahlen gewann und als erster schwarzer Präsident ins Weiße Haus einzog. Barack Obama, der wenige Minuten nach seiner Frau die Bühne betrat, befeuerte ebenfalls Harris’ Kampagne gegen Donald Trump: „Wir sind bereit für eine Präsidentin Kamala Harris. Und Kamala Harris ist bereit für die Aufgabe“, so der Ex-Präsident. Durch die Halle schallten „Yes, she can“-Sprechchöre – ganz so wie bei Obamas Wahlkampf vor 16 Jahren, als es noch hieß: „Yes, we can.“
Am Dienstagabend hielten Barack und Michelle Obama in Chicago zwei der am meisten umjubelten Reden auf dem Parteitag der Demokraten, der am Donnerstag mit der großen Abschlussrede von Harris enden soll. Vieles deutet darauf hin, dass die Obamas eine stärkere Rolle im Präsidentschaftswahlkampf übernehmen – und Harris in den verbleibenden elf Wochen bis zum Wahltag zusätzlichen Auftrieb verleihen wollen.
Alle Kräfte bündeln
Valerie Jarrett, die engste Vertraute der Obamas und CEO der Obama-Stiftung, legte in Chicago nahe, das Paar werde eine „aktive Rolle“ in Harris’ Wahlkampf spielen. „Das ist ein Moment, in dem wir alle Kräfte gebündelt brauchen“, sagte sie bei einer Parteitagsdiskussion, die vom Portal Axios organisiert wurde.
Seit Harris die Spitzenkandidatur von US-Präsident Joe Biden übernommen hat, sind die Demokraten in den Umfragen im Aufwind, Harris hat ihren Kontrahenten Donald Trump in einigen Erhebungen überholt. Entsprechend gut ist die Stimmung unter demokratischen Anhängern: Der Parteitag mit mehr als 5000 Delegierten und zehnmal so vielen Gästen hatte sich bereits am zweiten Tag in eine Riesenparty für Harris verwandelt.
Auf einem eigens eingerichteten „Blue Carpet“ filmten sich Hunderte Influencer für die diversen Social-Media-Kanäle. In der Arena, dem United Center im Stadtzentrum, feierten die Delegationen aus den Bundesstaaten mit Knicklichtern, „We fight, we win“-Plakaten und Wodka-Shots. Und Harris’ Ehemann Doug Emhoff ließ es auf der Bühne menscheln, als er von seinen ersten Dates mit Kamala und seinen unbeholfenen Voicemail-Nachrichten („Heyyyy, it’s Dooouug…“) erzählte.
Noch am Montag hatte die Partei Amtsinhaber Biden mit „Wir lieben dich, Joe“-Sprechchören verabschiedet, doch spätestens seit Dienstag drehte sich alles um Harris – die Frau, die am 5. November „Trump für immer aus dem Weißen Haus fernhalten soll“, wie der Spitzendemokrat Chuck Schumer rief.
Dass die Obamas in Chicago frenetisch gefeiert wurden, führt vor Augen, wie groß ihr Einfluss auf die Demokraten, auf Harris und auf die USA ist – auch wenn sich das Paar offiziell aus der Politik zurückgezogen hat. Das wachsende Medienimperium der Obamas, mit ihrem Herzstück, der Produktionsfirma Higher Ground, ist extrem erfolgreich.
Seit ihrem Ausscheiden aus dem Weißen Haus haben die Obamas millionenfach aufgelegte Biografien und TV-Dokumentationen in Kooperation mit Netflix veröffentlicht. In Chicago entsteht zurzeit im gigantischen Jackson-Park-Areal mit Seeblick die Obama-Stiftung – inklusive Gemüsegarten, wie Michelle Obama ihn schon im Weißen Haus pflanzen ließ. Die Stiftung, die auch einen europäischen Ableger bekommen soll, fördert junge Führungskräfte und soll 2026 eröffnet werden.
„Obama ist der Nordstern der Partei“
Barack Obama spielte in den jüngsten dramatischen Geschehnissen der Demokraten eine zentrale Rolle. Er drängte im Hintergrund darauf, dass sich Biden wegen seines fortgeschrittenen Alters aus dem Wahlkampf zurückziehen müsse. Dass die Partei danach einen selbstzerstörerischen Machtkampf vermied und sich hinter Harris versammelte, ist auch ihm zu verdanken.
„Obama ist immer noch der Nordstern in der Partei“, sagte die Vizegouverneurin von Illinois, Juliana Stratton, am Rande des Parteitags. Sollten sich die Obamas stark im Wahlkampf engagieren, könnten sie Unabhängige erreichen und womöglich auch einige gemäßigte Republikaner von Harris überzeugen, so die Hoffnung einiger Delegierter im Saal.
Die Hoffnung ist nicht unbegründet, denn Barack Obama ist auch acht Jahre nach dem Ende seiner Präsidentschaft einer der beliebtesten Demokraten des Landes. Nur seine Frau Michelle übertrifft ihn noch in Meinungsumfragen. Aufgrund ihrer enormen Popularität wurde immer wieder spekuliert, Michelle Obama wolle selbst für das Präsidentenamt kandidieren, doch das hat die ehemalige First Lady kategorisch ausgeschlossen.
Obama-Vertraute: „Dinge werden schiefgehen“
Wer Einblick in das heutige Leben der Obamas bekommen will, muss Valerie Jarrett fragen. Die 67-Jährige ist eine energische, kleine Person, die die Obamas schon kannte, bevor diese verheiratet waren. Seit 2021 leitet sie die Obama-Stiftung. Bis heute, so erzählt sie in Chicago, ziehe Barack sie damit auf, dass sie für ihn eine Karriere „als Bürgermeister von Chicago“ vorhergesagt habe. „Nun, er hat meine Erwartungen übertroffen“, sagt Jarrett, eine gebürtige Iranerin, die Obama lange im Weißen Haus beriet, bei ihrem Auftritt in Chicago trocken.
Ihr dunkelblaues Apple-Watch-Armband passt farblich zur Bluse und zu den Ballerina-Schuhen, was wohl kein Zufall ist. Doch Jarrett weiß, wie es sich anfühlt, wenn Dinge außer Kontrolle geraten. Obama habe viele Krisen erlebt, als Kandidat und als Präsident – Harris müsse sich auf Ähnliches gefasst machen. „Es ist ein super kurzer Wahlkampf. Dinge werden schieflaufen. Aber für Kamala Harris ist es auch eine Chance, daraus gestärkt hervorzugehen.“ Die Obamas, so Jarrett, stünden an ihrer Seite.
Harris soll die Obamas bereits routinemäßig um Rat fragen. Der „New York Times“ zufolge stünden Harris und Barack Obama in engem Austausch, er habe unter anderem bei der Auswahl ihres Vizekandidaten Tim Walz mitgemischt. Mehrere frühere Obama-Spitzenberater arbeiten inzwischen für Harris: Der einstige Wahlkampfchef David Plouffe und die Top-Strateginnen Jennifer O’Malley-Dillon und Stephanie Cutter gehören dazu.
Einige Elemente der Obama-Kampagne von 2008 finden sich in Harris’ Turbo-Wahlkampf wieder. Das Schlagwort „Joy“ (Freude) hat „Hope“ (Hoffnung) ersetzt. „Die Menschen sind müde von der Negativität, von der Hetze“, erklärte Jarrett in Chicago. „Sie wollen wieder Freude spüren.“ Und der frühere deutsche Botschafter in den USA, Wolfgang Ischinger, sagte dem Handelsblatt in Chicago, Harris’ Wahlkampf erinnere ihn an die „Obama-Sensation“ von 2008. „Hier wird eine von Zuversicht erfüllte Bewegung spürbar. Das ist etwas, was man bisher im Trump-Lager in dieser Form nicht sieht“, so Ischinger.
Die lange Freundschaft zwischen Harris und den Obamas
Doch Harris fehlt in Teilen die lockere Authentizität, die Schlagfertigkeit und manchmal auch das Charisma der Obamas. Deshalb dürfte es für sie umso wichtiger sein, dass sie von den öffentlichkeitswirksam unterstützt wird. Tatsächlich hat die Allianz zwischen Harris und den Obamas eine lange persönliche Vorgeschichte. Bereits 2004 half Harris in San Francisco dabei, Spenden für Obamas Senatskandidatur zu organisieren. Außerdem war sie eine der ersten Demokratinnen, die Obamas Präsidentschaftskandidatur 2008 unterstützte – in einer Zeit, in der ein Großteil der Partei noch auf eine Kandidatur von Hillary Clinton drängte.
Obama vergaß das nie. Er revanchierte sich und warb für Harris’ Wahl zur kalifornischen Generalstaatsanwältin im Jahr 2010. Jetzt ist er gemeinsam mit Michelle ganz vorn dabei, wenn es darum geht, die Siegeschancen gegen Trump zu erhöhen. „Es wird ein knappes Rennen in einem gespaltenen Land“, warnte Obama in Chicago. „Geht wählen!“
Harris’ Kontrahent Trump scheint die Breitenwirkung der Obamas zu fürchten: Kurz vor der Rede verschickte die Trump-Kampagne eine Reihe von SMS, die die Obamas als korrupte Lügner diskreditieren sollten. „Obama wird die Schleusen für Hunderte von Millionen Dollar an schmutzigem linken Geld öffnen“, hieß es darin. Trump hatte während Obamas Wahlkampagne 2008 die sogenannte „Birther-Bewegung“ befeuert, die Obamas amerikanische Staatsbürgerschaft anzweifelte, weil dessen Vater gebürtiger Kenianer ist.
Mit Trump verbinden die Obamas eine tiefe gegenseitige Abneigung. Die Polarisierung in den USA hatte unter Obamas Präsidentschaft einen vorläufigen Höhepunkt erreicht – auch, weil Obama die hohen Erwartungen an ihn zum Teil enttäuschte. Trump wurde auf einer Welle der Anti-Establishment-Kritik und Nationalismus erfolgreich.
Für die US-Demokraten markierte der Wahlsieg von Trump gegen Hillary Clinton 2016 eines ihrer größten Traumata. Jetzt wollen sie eine Wiederholung der Geschichte um jeden Preis verhindern. Offensiv wie nie attackierten beide Obamas Trump auf der Bühne in Chicago. „Er ist gefährlich. Er darf nicht gewinnen“, rief Barack Obama. „Seit er vor neun Jahren seine Präsidentschaftskandidatur verkündete, redet er nur über sich und seine Probleme, verbreitet irre Verschwörungstheorien. das muss ein Ende haben.“
Seine Frau Michelle spickte ihre Rede mit mehreren Trump-Anspielungen. „Die meisten Menschen haben nicht den Luxus, die Regeln zu unseren Gunsten zu brechen“, sagte sie in Anspielung auf Trumps Strafverfahren. Im Vergleich zu früheren Parteitagsreden wirkte sie härter, realistischer – und aufgebrachter. „Mir ist egal, ob jemand Demokrat, Republikaner oder nichts davon ist. Wir müssen jetzt alle gemeinsam aufstehen. Denn in unserem Herzen wissen wir, was für unser Land richtig ist.“
Spitzenkandidatin Harris war zwar nicht persönlich anwesend beim Auftritt der Obamas. Sie hielt eine Kundgebung im benachbarten Wisconsin ab. Doch alle Signale deuten darauf hin, dass die Obamas nicht das letzte Mal in Harris Wahlkampf eingeschaltet haben.
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