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Das ausgebrannte Wohnhaus der Arslans wurde renoviert und trägt inzwischen den Namen der Großmutter der ermordeten Mädchen Yeliz und Ayse. Auch Bahide Arslan starb 1992 in den Flammen.

© Daniel Bockwoldt/dpa

25 Jahre nach Anschlag von Mölln: Brandzeichen im Idyll

In Mölln starben 1992 mehrere Menschen durch einen rassistischen Brandanschlag. Eine Wende im Umgang der Behörden mit solchen Verbrechen brachte der Fall aber nicht.

Mölln war nicht der Anfang. Längst lief 1992 eine Welle der Gewalt gegen Migranten durchs Land. Doch die Anschläge auf zwei Häuser in der malerischen schleswig-holsteinischen Kurstadt in der Nacht zum 23. November 1992 markierten eine Wende: Erstmals im soeben wiedervereinigten Deutschland starben dabei Menschen. Ein halbes Jahr später sollten die Toten von Solingen folgen, fünf türkeistämmige Frauen.

Hitlergruß per Telefon

Im brennenden Haus in der Möllner Mühlenstraße 9 kamen heute vor 25 Jahren Yeliz Arslan (10), ihre Cousine Ayse Yilmaz (14) und ihre Großmutter, die 51-jährige Bahide Arslan, ums Leben. In einem weiteren Haus, das ihre Mörder angezündet hatten, konnten sich die Bewohner retten, teils schwer verletzt. Dort, in der Ratzeburger Straße, hatten die Mörder, der 19-jährige Lars C. und sein 25-jähriger Kumpan Michael P., kurz vorher in jener Nacht Molotowcocktails geworfen und ihre Tat stolz bei der Polizei durchtelefoniert: „In der Ratzeburger Straße brennt es. Heil Hitler!“ Nach dem tödlichen Anschlag in der Mühlenstraße meldeten sich die beiden mit dem gleichen zynischen Spruch erneut, während die Familie Arslan ums Überleben kämpfte. Bahide Arslan kann ihren 7-jährigen Enkel Ibrahim noch retten, indem sie ihn in feuchte Tüchter wickelt und in die Küche bringt, die das Feuer verschont hatte. Beim Versuch, auch die Mädchen in Sicherheit zu bringen, muss sie durchs brennende Treppenhaus. Sie schafft es nicht mehr,  Bahide Arslan verbrennt auf den Stufen. Ihre Enkelinnen bleiben ohne Hilfe, auch Yeliz und Ayse sterben im Feuer.

 Die Täter sind wieder frei

Das Verbrechen von Mölln bedeutete, so schien es zunächst, auch eine Wende für die Sicht auf den rechten Terror. Die Morde in der norddeutschen Idylle, resümierte der Spiegel damals, hätten „Deutschland verändert“: „Fremdenhass und Gewalt gegen Ausländer, so wird plötzlich klar, haben sich krebsartig in der Gesellschaft ausgebreitet – Folge jahrelanger Verharmlosung und Verdrängung des rechten Terrors durch Justiz und Regierende.“ Im Falle Mölln zog der Generalbundesanwalt das Verfahren an sich und stufte es als Anschlag auf die innere Sicherheit der Bundesrepublik ein. Die Verurteilung der Täter, die erst gestanden, dann die Tat wieder abstritten, erfolgte rasch: Lars C. erhielt 1993 zehn Jahre Jugendstrafe, der 25-jährige P. wurde wegen dreifachen Mordes und 39-fachen Mordversuchs zu Lebenslang verurteilt. Für ihn, der mit einer Tochter der Arslans jahrelang in einer Schulklasse saß und regelmäßiger Kunde in Bahides Imbiss war, endete die Höchststrafe 2007 nach 15 Jahren, Lars C. ist schon seit 2000 frei.

 Kanzler Kohl blieb in Bonn

In anderer Weise ähnelt die Reaktion auf Mölln dem, was – sechs Jahre nach dessen Selbstenttarnung – von der auf die Morde des NSU bekannt ist: Auch in Mölln suchten die Behörden die Verantwortlichen in der Familie der Opfer; unter Verdacht geriet zunächst Faruk Arslan, Sohn und Vater zweier der Toten. Entschädigungen wurden den Angehörigen zeitweise aberkannt. Die anhaltende Nichtbetroffenheit des offiziellen Deutschland erhielt prominentesten Ausdruck in der Weigerung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, die Trauerfeier für die Opfer von Mölln zu besuchen. Von „Beileidstourismus“ sprach abfällig sein Sprecher. Zwei Wochen später schlossen seine Regierung und die oppositionelle SPD den sogenannten Asylkompromiss, der den Asylartikel im Grundgesetz massiv einschränkte.

Die Überlebenden der Familie Arslan verließen Mölln acht Jahre nach den Morden – doch Ibrahim, der damals 7-jährige Enkel von Bahide Arslan, kommt Jahr für Jahr am 23. November zurück. Auf der Gedenkfeier am vergangenen Sonntag im Berliner Theater Hau Berlin – seit die Stadt Mölln ihr offizielles jährliches Gedenken 2013 einstellte, organisieren die Arslans und Freundeskreise jährlich eine „Möllner Rede im Exil“ - mahnte Ibrahim Arslan einen Richtungswechsel im Blick auf rassistische Verbrechen an: Es sei Zeit, „die Opferperspektive in den Vordergrund“ zu rücken. „In der Gesellschaft steht leider die Täterperspektive im Vordergrund.“

 "Der Staat relativiert und negiert rassistische Gewalt"

Dabei ist besseres Wissen, 25 Jahre nach Mölln, größer und verfügbarer denn je. In den Jahren nach dem Auffliegen des NSU haben etliche Untersuchungsausschüsse nicht nur Behördenversagen bis zum Verdacht der Mittäterschaft festgestellt, sondern auch Vorschläge gemacht. Einer der wichtigsten: Wann immer Migranten Verbrechensopfer sind, in Richtung Rassismus ermitteln. Praktisch sei die Bilanz aber immer noch trübe, sagt Heike Kleffner.

Dass wie einst in Mölln zuerst die Opfer selbst in Verdacht gerieten, sagt die Journalistin, Rechtsextremismus-Expertin  und frühere Leiterin der mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt, „das zieht sich bis heute durch, da hat sich gar nichts geändert - selbst wenn, wie 1996 beim Brandanschlag von Lübeck mit zehn Toten, die Beweislage erdrückend sei, damals gegen zwei Mecklenburger Neonazis. Dass Opfer zu Tätern würden, sei ein Horror für die Betroffenen. „Es bedeutet aber auch, dass der Staat im Kern rassistische Gewalt nicht sehen will, sie relativiert und negiert.“ Dieses „Grundrauschen, das zu rechtem Terror dazugehört“, sei das gleiche wie vor 25 Jahren in Mölln.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Artikels konnte der Eindruck entstehen, die Toten von Mölln seien die ersten Todesopfer rechter Anschläge in Deutschland seit 1945 gewesen. Zudem war das Möllner Verfahren nicht das erste dieser Art, das der Generalbundesanwalt an sich zog.

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