
© picture alliance / dpa/dpa
70 Jahre Bundeswehr: Zehn Dinge über die Wiederbewaffnung, die Sie nicht wussten
Zum runden Geburtstag der Truppe am 12. November hat das Bundesarchiv alte Dokumente und Filme digitalisiert. Darin finden sich auch erstaunliche Parallelen zu den Debatten von heute.
Stand:
Gerade einmal zehn Jahre nach Ende des von Hitler-Deutschland losgetretenen Zweiten Weltkriegs bekam die junge Bundesrepublik wieder eine Armee. Voraus gingen der sogenannten „Wiederbewaffnung“ nicht nur viele organisatorische Überlegungen und heiße Debatten in der Bundespolitik, auch die Jugend stellte wie heute kritische Fragen zu Krieg und Frieden.
1 Nur 101 Freiwillige machten den Anfang
So wie heute bestand die Bundeswehr ganz am Anfang nur aus Freiwilligen. Theodor Blank, der erste Bundesminister der Verteidigung, ernannte am 12. November 1955 die ersten 101 Soldaten. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) besuchte im Januar darauf den ersten Aufstellungsappell in Andernach.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Vorausgegangen war die Unterzeichnung der Pariser Verträge am 23. Oktober 1954. Sie beendeten das Besatzungsstatut für die Bundesrepublik und machten den Weg für die Nato-Mitgliedschaft im Mai 1955 und eigene Streitkräfte frei.
2 Bundeswehr klang erst zu sehr nach Feuerwehr
Im Wochenschau-Beitrag über die ersten Soldaten war noch von der neuen „bundesdeutschen Wehrmacht“ die Rede. Den Namen „Bundeswehr“ erhielt sie erst im Jahr darauf. Aber auch die Namensgebung war umstritten.
Der Namensvorschlag kam vom Verteidigungsausschussvorsitzenden Richard Jaeger (CSU), der den defensiven Charakter betonen wollte. Wegen des Gleichklangs mit dem Wort „Feuerwehr“ äußerte vor allem die FDP-Fraktion Bedenken. Die strittige Debatte, deren Niederschrift ebenfalls auf den Bundesarchivseiten verfügbar ist, fand bereits am 12. Juli 1955 statt – geklärt wurde die Frage erst ein Jahr später, die Bundeswehr namenlos gegründet.
3 Auch kein Stahlhelm sollte an die Wehrmacht erinnern
Dass als Gründungstag der 200. Geburtstag des preußischen Generals und Heeresreformers Gerhard von Scharnhorst gewählt wurde, war kein Zufall. Daraus sprach vor allem der Wunsch, sich nicht in die Tradition der Wehrmacht zu stellen. Das fing schon bei den Äußerlichkeiten an.
So findet sich in einem Sammelband des Bundesarchivs zum runden Bundeswehr-Geburtstag auch ein Schreiben an das „Amt Blank“, den Vorläufer des Verteidigungsministeriums, wonach es „nicht beabsichtigt ist, für die neuen deutschen Streitkräfte den alten deutschen Stahlhelm einzuführen, sondern einen neuen Stahlhelm nach amerikanisch-belgischem Muster“.
4 Adenauer erschuf den „Staatsbürger in Uniform“
In einem alten Briefwechsel versichert Bundeskanzler Adenauer, er „werde in jedem Falle zu verhindern wissen, dass das verbrecherische Nazi-Regine glorifizlert wird und dass nationalsozialistische Ideen in der Bundeswehr wiederaufleben“. Insbesondere die Stichworte der „Inneren Führung“ und vom „Staatsbürger in Uniform“ sollten dazu beitragen.
Die ideellen Grundlagen dafür wurden schon Anfang Oktober 1950 im Kloster Himmerod in der Eifel unter anderem von früheren Wehrmacht-Angehörigen geschaffen, die Adenauer beauftragt hatte. In der lange als geheim eingestuften „Himmeroder Denkschrift“ wurde nicht nur künftige Truppenstärken festgelegt.
Ein künftiger deutscher Soldat verteidige, so das neue Selbstverständnis, „zugleich Freiheit im Sinne der Selbstbestimmung und soziale Gerechtigkeit. Diese Werte sind für ihn unabdingbar“. Von einer „Verpflichtung Europa gegenüber“ ist die Rede, ebenso vom wichtigen Erziehungsauftrag der neuen Armee des noch jungen Landes als „entscheidender Beitrag für die Entwicklung zum überzeugten Staatsbürger und europäischen Soldaten“.
5 Auch Soldaten haben Rechte
Wer in der Bundeswehr Dienst tat, sollte nicht nur Pflichten haben, sondern als „Staatsbürger In Uniform“ auch Rechte. Auch die Armee der Bundesrepublik wurde immer noch als Armee konzipiert und nicht als basisdemokratische Veranstaltung. Beschwerden aber sind möglich, mit dem 1959 eingeführten Wehrbeauftragten des Bundestags gibt es einen weiteren Weg.
Ihrem Ärger Luft machen, konnten Soldaten aber auch in Befragungen, deren Ergebnisse das Bundesarchiv ebenfalls veröffentlicht hat. Einem Unteroffizier fand es zu wohlig in der Truppe. „Man sollte mehr das Soldatische ansprechen“, schrieb er: „Sonst darf man sich nicht wundern, wenn die Einstellung um sich greift: Bundeswehr ist zum Geldverdienen ganz gut, aber wenn es bumst, haue ich ab.“
6 Die Wehrpflicht war von Beginn an umstritten
Die allgemeine Wehrpflicht trat zwar erst 1956 in Kraft, ehe sie, mehr als fünf Jahrzehnte später, 2011 ausgesetzt wurde. Die jungen Männer des Landes ahnten freilich schon früher, was da auf sie zukommen würde. So berichtete die „Wochenschau“ 1954 über ein öffentliches „Gespräch mit der Jugend“ in Köln, in der kontrovers über die bevorstehende Verpflichtung diskutiert wurde.
„Lust haben wir nicht für fünf Pfennige“, lautete am Ende regierungsseitig das Resumée der Debatte zum Wehrdienst, „aber wenn es sein muss und unter vernünftigen Bedingungen geschieht, dann ja.“ Das freilich war eine gewisse Beschönigung, weil nicht wenige Vorredner in Zweifel zogen, „dass heutzutage wieder eine Armee notwendig ist“. Ein 20-Jähriger sagte: „Bitte glauben Sie nicht, dass ich mich furchtbar danach drängen würde, später einmal anderthalb Jahre oder zwei oder drei Jahre meines Lebens Soldat zu spielen.“
Ein anderer sagte: „Bisher hat noch nie eine Aufrüstung einen Krieg verhindert.“ Man solle Ihnen „nicht weismachen, dass man heute mit Divisionen und Panzern im Zeitalter der Atombomben etwas verteidigen könne“. Zuspruch ist nur von einer Seite dokumentiert, weil das Militär im demokratischen Staat das Recht auf Debatten wie diese verteidige: „Dass das erhalten bleibt, das ist das schon wert.“
7 Mit der Wehrerfassung ging es auch damals los
„Wehrerfassung 7 Stock Zimmer 771“ – so steht es auf einem Schild zu lesen in einem Fernsehbeitrag aus dem Jahr 1956, als die Wehrerfassung mit dem Jahrgang 1937 beginnt. Landauf, landab sind die 18- und 19-Jährigen der Republik angehalten, sich entsprechend zu melden. Der Sprecher stellt klar, dass es sich dabei nicht bereits um die Einberufung handelt. Vielmehr will der Staat wissen, wer für seine Armee überhaupt infrage kommt.
Das ist auch der Kern des neuen Wehrdienst-Modernisierungsgesetzes, das am 1. Januar 2026 inkraft treten soll, zuletzt aber noch sehr umstritten war. Mittels des verpflichtenden Ausfüllens eines Online-Fragebogen möchte die Bundeswehr in Erfahrung bringen, wer im Ernstfall überhaupt eingezogen werden könnte. Für diesen Spannungs- und Verteidigungsfalls hat die Wehrpflicht nie aufgehört zu gelten – die Erfassung wurde 2011 trotzdem gleich mit beendet.
8 Bedrohungsszenarien gehören von Anfang an zum Geschäft
Die Wiederbewaffnung selbst fand unter dem Eindruck des Koreakrieges statt. Zwei aus einem Staat hervorgegangene Länder bekämpften sich erbittert und ließen böse Vorahnungen in Richtung eines bewaffneten Konflikts zwischen BRD und DDR aufkommen.
Im Bundesarchiv finden sich Skizzen mit der „Zeitberechnung für die Anflugzeiten leichter Bomber und Fernwaffen“. Auch der Bevölkerung wurde in Broschüren und Flugblättern dargebracht, wie viel größer das sowjetische als das westliche Atomwaffenarsenal war. Übungen wie der „Große Rösselsprung“ 1969 oder „Flinker Igel“ 1984 dienten der Abschreckung des Warschauer Pakts.
9 Schon 100.000 Mann im zweiten Jahr
Das Tempo des Personalzuwachses von damals hätte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) heute auch gerne. Schon Ende Juli 1957, nicht einmal zwei Jahre nach der Gründung der Bundeswehr konnte ihr erster Generalinspekteur Adolf Heusinger den 100.000. Soldaten in der Truppe begrüßen.
„Ich gratuliere Ihnen schön, und ich gratuliere uns auch, dass wir jetzt die Hunderttausend erreicht haben“, sagte er damals an den 18-jährigen Klaus-Jürgen Theimann aus Hemer im Sauerland gerichtet. Der bekam zudem das Buch „Die großen Deutschen“ überreicht sowie ein Porträt des damaligen Bundesverteidigungsministers namens Franz Josef Strauß.
10 Erst 45 Jahre nach Gründung offen für Frauen
Weibliche Zivilbeschäftigte gab es bei der Bundeswehr von Anfang an – Frauen arbeiteten als Sekretärinnen, Übersetzerinnen oder Arzthelferinnen. Zur aktiven Truppe durften sie ausdrücklich nicht, auch nicht freiwillig. Weil dazu noch eine rechtliche Grauzone bestanden hatte, wurde Artikel 12 des Grundgesetzes extra nachgeschärft – was die Wehrdienst-Debatte noch heute beeinflusst.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
In einem ersten Schritt wird der Sanitätsdienst der Bundeswehr 1975 für Frauen geöffnet. Das aber reicht auch den Mädchen einer Berufsschulklasse aus Castrop-Rauxel nicht – im Jahr 1979 schreiben sie dem SPD-Verteidigungsminister Hans Apel, was ebenfalls in den Archiven dokumentiert wurde. Nach Debatten im Unterricht über die Emanzipation und Frauen in der israelischen Armee kamen sie zu dem Entschluss, dass auch „wir gerne zur Bundeswehr gehen würden“. Die Kampfverbände öffneten sich für sie aber erst im Jahr 2000.
- Boris Pistorius
- Bundeswehr
- CDU
- CSU
- DDR
- Deutscher Bundestag
- Friedrich Merz
- Gleichstellung
- Jugend
- SPD
- Zweiter Weltkrieg und Kriegsende
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: