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Landwirtschaftsminister Özdemir erlaubt beim Getreideanbau eine Ausnahme für 2023.

© Daniel Karmann/dpa

„Ein Kompromiss, der auch wehtut“: Agrarminister Özdemir will Getreideanbau auf Brachflächen erlauben

Der Chef der Agrarministerkonferenz, Magdeburgs Ressortchef Schulze, begrüßt zwar Özdemirs Vorschlag zum Getreideanbau. Doch die Debatte dürfte weitergehen.

Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) will es den Landwirten in Deutschland erlauben, im kommenden Jahr ausnahmsweise Getreide auf Brachflächen anzubauen. Damit sollen die Bauern in die Lage versetzt werden, mehr Nahrungsmittel für den Weltmarkt zu liefern. Wegen des Krieges in der Ukraine herrscht weltweit Getreideknappheit.

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Zunächst hatte Özdemir im Ringen mit den Agrarministern der Bundesländer lediglich angeboten, dass die Landwirte in zwei aufeinanderfolgenden Jahren Weizen anbauen können. Damit könnte in Deutschland auf einer Fläche von 380.000 Hektar Weizen nach Weizen angebaut werden.

Eine Aussetzung der geplanten Flächenstilllegung hatte Özdemir aber zunächst sehr kritisch gesehen. Seinem Kompromissvorschlag war ein Hin und Her auf EU-Ebene vorhergegangen: Ursprünglich sah die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU vor, dass ab 2023 aus Gründen des Artenschutzes in sämtlichen Betrieben vier Prozent der Flüche nicht mehr bewirtschaftet werden dürfen.

Dann hatte die EU-Kommission vor dem Hintergrund der weltweiten Nahrungsmittelknappheit aber erklärt, dass für das kommende Jahr eine Ausnahme von dieser Regel möglich ist. Die Entscheidung darüber, ob von der Lockerung Gebrauch gemacht wird, wurde den Mitgliedstaaten überlassen.

Özdemir spricht von einem „schwierigen Abwägungsprozess“

Özdemir erklärte, dass er seine Entscheidung, die Stilllegungsflächen für die landwirtschaftliche Nutzung freizugeben, in einem „schwierigen Abwägungsprozess“ getroffen habe. „Was ich vorlege, ist ein Kompromiss, der an der einen oder anderen Stelle auch wehtut, denn er sieht vor, die eigentlich geplanten zusätzlichen Artenschutzflächen erst 2024 einzuführen“, erklärte der Minister.

Dass Organisationen wie die Umweltschutzorganisation Greenpeace seinen Vorschlag kritisieren würden, dürfte dem Grünen-Politiker schon vorher klargewesen sein. Schließlich sind in den Augen von Naturschützern brach liegende Öko-Flächen zwingend erforderlich, wenn die Artenvielfalt nicht noch weiter abnehmen soll.

Mehr zum Ukraine-Krieg bei Tagesspiegel Plus:

Der Krieg in der Ukraine und die folgende globale Nahrungsmittelknappheit führt nun auch in diesem Punkt bei den Grünen zu einer Kehrtwende – ähnlich wie schon bei der Diskussion um die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und die Reaktivierung von Kohlekraftwerken zur Schonung der Gasvorräte.

Geschützte Flächen sollen nicht bewirtschaftet werden

Özdemir legt allerdings Wert darauf, dass bereits geschützte Stilllegungsflächen nicht bewirtschaftet werden dürfen. Zudem ist zwingend vorgesehen, dass der zusätzliche Getreideanbau ausschließlich der Lebensmittelproduktion zugute kommen muss.

Daher beschränkt sich die Freigabe auf die Kulturen Getreide (ohne Mais), Sonnenblumen und Hülsenfrüchte (ohne Soja).Nach Beratungen mit den Agrarministern der Bundesländer Ende Juli hatte Özdemir gesagt, er habe den Eindruck, dass viele Landwirte die Produktion von Tierfutter gegenüber der Lebensmittel-Produktion bevorzugten. Genau dies will der Minister nun mit seinem Vorschlag verhindern.

Magdeburger Ressortchef Schulze: Entscheidung in letzter Minute

Die Bundesländer müssen Özdemirs Vorschlag noch zustimmen. Der Vorsitzende der Agrarministerkonferenz, Sachsen-Anhalts Ressortchef Sven Schulze (CDU), begrüßte die Entscheidung Özdemirs.  Der Landwirtschaftsminister sei weitgehend dem gefolgt, was eine Mehrzahl der Länder-Agrarminister bereits kürzlich bei der Bund-Länder-Konferenz im vergangenen Monat gefordert haben, sagte Schulze dem Tagesspiegel. „Damit gibt es endlich Klarheit für unsere Bauern“. 

Schulze sprach angesichts des Zeitpunkts kurz vor der Aussaat von einer „Entscheidung in letzter Minute“ und kritisierte, dass der Landwirtschaftsminister nicht schon früher Klarheit geschaffen habe. „Scheinbar hat Herr Özdemir selbst innerhalb seiner Partei bei diesem Thema keine Mehrheiten“, sagte der Magdeburger Ressortchef weiter.

Kritik von den Grünen in Brüssel

Während auch die FDP den Kompromiss begrüßte, kommt von den Grünen in Brüssel Kritik. „Es ist absolut bedauerlich  dass die wenigen grünen Punkte der Gemeinsamen Agrarpolitik jetzt weiter verschoben werden“, sagte Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, dem Tagesspiegel mit Blick auf die ursprünglich schon für 2023 geplante Flächenstilllegung.  

„Die EU-Kommission trägt dafür die Hauptverantwortung“, sagte er weiter. Özdemir sei keine andere Wahl geblieben, zumal auch die übrigen 26 EU-Länder und eine Mehrheit der Agrarminister in Deutschland eine Aussetzung der Flächenstilllegung für das kommende Jahr befürworte.

In jedem Fall müsse die Regelung, dass vier Prozent der Flächen in den Betrieben brach liegen müssen, ab 2024 greifen, forderte Häusling.

Auch Özdemir hatte zuvor erklärt, dass die Ausnahme bei der Flächenstilllegung „ausdrücklich nur für 2023“ gelte. Doch damit ist die Diskussion für den Minister möglicherweise noch nicht beendet. Denn der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, erklärte schon einmal vorsorglich: „Eine Aussetzung für ein Jahr ist sicherlich nicht ausreichend.“

Die Ankunft des Getreidefrachters "Razoni" im Libanon lässt auf sich warten.
Die Ankunft des Getreidefrachters "Razoni" im Libanon lässt auf sich warten.

© Emin Caliskan/REUTERS

Unterdessen zeichnet sich trotz einer unter Vermittlung der Vereinten Nationen gefundenen Lösung zur Ausfuhr von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer keine schnelle Entspannung der Lage ab. Wie die ARD unter Berufung auf den ukrainischen Botschafter im Libanon berichtete, sei die zunächst für Sonntag geplante Ankunft des Schiffes „Razoni“ in Tripoli abgesagt worden. Zu den Gründen wurden keine Angaben gemacht.

Die "Razoni" hatte am vergangenen Montag den ukrainischen Hafen Odessa mit 26.000 Tonnen Mais an Bord in Richtung Libanon verlassen. Die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass berichtete, der Frachter habe seine Route geändert und werde nun am kommenden Dienstag in Tripoli anlegen.

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