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Bildung oder Synagogenbesuch am Schabbat: Judentum hat in Deutschland eine lange und vielfältige Tradition.

© Kai-Uwe Heinrich

„Aufstand gegen Antisemitismus“: Aktionsjahr soll jüdisches Leben sichtbarer machen

Die Vielfalt des Judentums ist in Deutschland wenig bekannt, beklagt der Zentralrat. Mit Konzerten, Feste und Führungen soll sich das im kommenden Jahr ändern.

Sind wir noch sicher? Diese Frage müssten sich immer mehr deutsche und europäische Juden angesichts eines „explodierenden Antisemitismus“ stellen, sagt Abraham Lehrer, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden . Zwar könne derzeit noch nicht von einer „Auswanderungswelle“ gesprochen werden. Dennoch warnte er bei der Vorstellung eines Aktionsplans und Festjahres gegen Antisemitismus: „Juden haben zunehmend Angst, vor allem um ihre Kinder.“

Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, sprach sogar von einer „Verrohung unserer Gesellschaft“. Durch das Internet könnten sich Antisemiten heute viel leichter untereinander finden und organisieren. „Es braucht jetzt eine wachsame Zivilgesellschaft“, forderte er: „Der Staat alleine wird es nicht richten können.“ Mit rund 100.000 Mitgliedern ist die jüdische Gemeinde in Deutschland verhältnismäßig klein. „Ein Grund, warum jüdisches Leben für viele Deutsche im Alltag oft nicht sichtbar ist“, sagte Lehrer. Die Folgen seien fehlendes Wissen, mangelnder Austausch, Vorurteile und falsche Vorstellungen davon, wer Juden sind. Das für 2021 geplante Aktions- und Festjahr soll das ändern.

„Aufstand gegen Antisemitismus“

Konkret heißt das: Bundesweit wird es im kommenden Jahr Veranstaltungen und Aktionen geben, etwa Konzerte, Feste und Führungen. Der 2018 gegründete Verein „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ organisiert diese. Zudem sollen, um nur einige Beispiele zu nennen, eine Sonderbriefmarke, ein Gastroguide zu jüdischer Esskultur sowie ein Reiseführer aufgelegt werden, der Interessierte an Orte mit Bedeutung für die jüdische Geschichte führt – auch an jene, an denen es heute keine jüdischen Gemeinden mehr gibt. Anlass für das Aktionsjahr ist die erste urkundliche Erwähnung einer jüdischen Gemeinde in Deutschland vor 1700 Jahren.

Den Initiatoren zufolge habe Kaiser Konstantin die Kölner im Jahr 321 in einem Edikt angewiesen, Juden im Stadtrat zuzulassen. Das Festjahr, so die Idee, solle ein deutliches Zeichen gegen antisemitische und rechtsradikale Strukturen sein, sagte Jürgen Rüttgers, einer der Projektinitiatoren. Ein Anstoß, sich mit einer Erinnerungskultur auseinanderzusetzen, die künftig ohne Holocaust-Überlebende auskommen muss. „Ich bin nicht bereit, hinzunehmen, dass heute nicht mehr sichergestellt ist, dass alle Kinder in unseren Schulen lernen, was in den Zeiten des Holocaust geschah“, sagte der frühere NRW-Ministerpräsident. Man wolle einen „Aufstand gegen Antisemitismus“ organisieren: „Aber wir wollen, und das ist wichtig, auch zusammen feiern.“

1700 Jahre jüdisches Leben

Denn auch das soll das Aktionsjahr sein: die Chance, einen Blick auf 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland zu werfen. Die Möglichkeit, jüdische Geschichte und Kultur kennenzulernen, Vorurteile abzubauen, zusammenzuwachsen, zu sprechen – „und zwar explizit nicht nur über schlimme Zeiten“, erklärte Rüttgers. Um die bundesweiten Projekte gegen Antisemitismus zu fördern, habe der Bundestag für 2020 „aus tiefster Überzeugung“ sechs Millionen Euro zur Verfügung gestellt, sagte Klein. Weitere Mittel für das Festjahr sollen folgen. Nordrhein-Westfalen habe außerdem 600.000 Euro bereitgestellt. Auch andere Bundesländer, Unternehmen, Verbände, Vereine, Kirchen und Kulturschaffende seien aufgerufen, sich zu engagieren – mit Geld oder Ideen.

Imke Wrage

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