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Kinder sind besonders von Armut bedroht.

© dpa

Hartz-IV-Reform: Alleinerziehende werden zur Kasse gebeten

Hartz IV als Nackenschlag: Getrennt lebenden Müttern soll für die Vater-Tage ihrer Kinder Geld abgezogen werden. Das sehen die Reformpläne aus dem Haus von SPD-Bundessozialministerin Andreas Nahles vor. Die Idee ist absurd und lebensfern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

So kann man natürlich denken: Dass ein Trennungskind, wenn es übers Wochenende beim Vater ist, bei der Mutter zwei Tage lang keine Kosten verursacht, man ihr also – sofern sie und Kind Sozialleistungen bekommen – guten Gewissens davon etwas abziehen könnte.

Aber würde nicht jeder vernünftige Mensch so einen Gedanken bald wieder verwerfen? Weil ihm die Rechnerei und die Beträge, um die es sich drehen wird – 15 Cent fürs nicht gekaufte Sonntagsbrötchen, Heizung lief an dem Tag im Kinderzimmer nicht, und geduscht hat auch nur einer – zu kläglich vorkommen würden?

Und doch fand diese Idee Eingang in die geplante Hartz-IV-Reform, die genau benannt „Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung“ heißt und Mitte April erstmals im Bundestag beraten wurde. „Warum belasten Sie Alleinerziehende, die zu 40 Prozent voll oder ergänzend auf Hartz IV angewiesen sind, mit diesem Gesetz so enorm?“, fragte dort der Linken-Abgeordnete Matthias Birkwald. Die Antworten, die von Vertretern der Regierungsparteien CDU und SPD kamen, waren ausweichend und nur insofern kein Grund zur Verzweiflung, als sie den Hinweis auf Änderungsmöglichkeiten enthielten. Na hoffentlich.

Bisher konnten bedürftige Väter für ihre Kindertage einen Mehrbedarf anmelden

Bisher war es so, dass bedürftige Väter für Tage mit ihrem Kind Mehrbedarf beim Jobcenter geltend machen konnten, worüber von Amt zu Amt unterschiedlich entschieden wurde. Eine Regelung müsse her, hieß es irgendwann. Die kommt nun mit der Reform – aber doch nicht so!

Statt sinnigerweise den Mehrbedarf für Väter zu pauschalieren und einzuplanen, die Vatertage bei den Leistungen, die der Mutter zugutekommen, abzuziehen – sogar dann, wenn der Vater gar keine Sozialleistungen erhält! –, ist einfach nur Sparen auf Kosten der ohnehin Gebeutelten angesagt.

625 000 Haushalte von Alleinerziehenden sind auf staatliche Grundsicherungsleistungen angewiesen, Alleinerziehende „und ihre Familien tragen besondere Armutsrisiken“, steht auf der Internetseite des SPD-geführten Bundesfamilienministeriums. In der Tat gehen viele Geschichten von alleinerziehenden Frauen so, dass sie erst das Kind bekamen, dann ging die Beziehung kaputt und dann folgte aus muttermöglichen Teilzeitjobs oder befristeten Beschäftigungsverhältnissen heraus der Abstieg in die Arbeitslosigkeit, aus der es mit betreuungsbedürftigem Kind wenig Befreiungsmöglichkeit gibt. Und das trotz der vielen Sonntagsreden zum Thema Kinder und Familien.

Und nun soll ausgerechnet dieser Gruppe – und noch mal: fast ausschließlich Frauen – eine weitere Verschlechterung ihrer Lage zugemutet werden. Eine „unnötige Härte“ sieht der VAMV, der Verband alleinerziehender Mütter und Väter, in der Reform, die der Deutsche Juristinnenbund im Tagesspiegel so vorgerechnet hat: 270 Euro bekommt ein sechs bis 14 Jahre altes Kind in einem Hartz-IV-Haushalt, geteilt durch 30 (Tage im Monat) ergibt neun Euro pro Tag. Ist das Kind zwei Wochenenden pro Monat beim Vater, werden der Mutter vier mal neun gleich 36 Euro abgezogen. Als würden nicht fast alle Kosten für ein Kind auch bei Abwesenheit weiterlaufen: Miete, Versicherungen, Vereinsbeiträge.

Wie eine tageweise Abrechnung die Verwaltung entlasten soll, bleibt rätselhaft

Angesichts dieser erneuten Stümperei bei der Hartz-IV-Gesetzgebung wird immer deutlicher, dass es Zeit für einen wirklichen Befreiungsschlag ist. Das heißt ein einheitliches Bürgergeld, welches bestimmte Sozialleistungen wie ALG II, Sozialhilfe, Wohngeld und Kinderzuschlag zusammenfasst. Allein das dadurch eingesparte Personal dürfte die öffentlichen Haushalte nachhaltig entlasten. 

schreibt NutzerIn rob1969

Und es wird an der Frau sein, die Besuchstage beim Amt zu dokumentieren, was wiederum ihre Zeit kostet, die sie mit Kind und vielleicht einem prekären Minijob eben nicht hat. Es wird Streit und Neid in eventuell ohnehin schwierige Beziehungen tragen, denn wenn jeder Tag beim Vater die Mutter neun Euro kostet, kann das ihr Interesse daran schmälern.

Verirrt wirkt dieser Reformplan darüberhinaus auch deshalb, weil das Änderungsgesetz den Zusatz „Rechtsvereinfachung“ trägt und zur Entlastung der Sozialämter beitragen soll. Es ist aber kaum vorstellbar, und das wurde von deren Personalräten bereits moniert, wie ein tageweiser Nachweis der Kinderbetreuungssituation zu weniger Aufwand führen könnte.

Zwei Jahre lang hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe an den Reformvorschlägen herumgetüftelt, die im Betreff „zeitanteilige Bedarfsgemeinschafts-Zugehörigkeit“ vor allem Anregungen des Deutschen Landkreistags, des Deutschen Städtetags, des Deutschen Städte- und Gemeindebunds aufnehmen. Deren Ziel – Sparen – ist klar. Federführendes Bundesministerium ist das fürs Soziale, geführt von der SPD-Frau Andrea Nahles, einer getrennt lebenden Kleinkindmutter noch dazu. Wie weit ihr Haus von der Hartz-IV-Welt entfernt ist, zeigt auch dieser Reformplan.

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