Politik: Alles, nur kein Veto
Warum Frankreichs Präsident Jacques Chirac jetzt einen Krisengipfel zum Irak vorschlägt
IRAK – ZWISCHEN KRIEG UND FRIEDEN
Das entscheidene Wort ist in Paris noch nicht gefallen. Und Frankreichs Präsident Jacques Chirac und sein Außenminister Dominique de Villepin tun alles, damit sie es nicht in den Mund nehmen müssen. Ein „Veto“ gegen eine neue Irak-Resolution im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wäre das letzte Mittel der beiden, sich gegen einen Krieg im Nahen Osten zu stellen. Doch selbst damit dürfte der Waffengang kaum mehr zu verhindern sein – und genau das ist ihr Problem. Denn wenn die USA und Großbritannien den Irak ohne ein UN-Mandat angreifen, wäre die einzig verbliebene Bühne der „Grande Nation“ zum Hinterhoftheater degradiert. Durch seinen ständigen Sitz im Sicherheitsrat und das damit verbundene Vetorecht bei weltpolitischen Entscheidungen kann Frankreich sich noch immer als Großmacht fühlen. Sollte das Votum des Gremiums missachtet werden, noch dazu von anderen ständigen Sicherheitsratsmitgliedern, wäre die Autorität dahin.
Ein weiteres Problem: Nach einem Nein hätte Paris keinen Einfluss auf eine Nachkriegsordnung und die künftige Nutzung der irakischen Ölreserven. Deshalb droht die französische Regierung nur indirekt mit ihrem Veto. „Als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats wird Frankreich keine Resolution passieren lassen, die eine automatische Autorisierung von Gewalt beinhaltet“, sagte Dominique de Villepin am vergangenen Freitag. Faktisch liefe dies zwar auf ein Veto hinaus, doch so lange das Wort nicht wirklich ausgesprochen ist, bleibt Spielraum für Verhandlungen. Und die will Frankreich nun forcieren. Ein Krisengipfel soll doch noch eine Einigung ermöglichen. Die Staats- und Regierungschefs der 15 Sicherheitsratsmitglieder sollten persönlich nach New York reisen, wenn es zu einer Abstimmung über eine neue, kriegsentscheidende Resolution komme, forderte Chirac am Wochenende: „Wenn es um Leben und Tod geht, ist es angemessen, das auf höchster Ebene zu besprechen“, begründete er den Vorstoß.
Und Frankreich tut noch mehr: Chefdiplomat de Villepin brach am Sonntag kurzfristig nach Afrika auf. In Angola, Guinea und Kamerun, die ihren Kontinent derzeit im Sicherheitsrat vertreten, will er für die französisch-deutsche Position werben. Alle drei gelten als so genannte Wackelkandidaten, auch wenn sich Angola am Sonntag zunächst einmal gegen eine neue Resolution und im Sinne Deutschlands und Frankreichs für eine Verlängerung der Inspektionen aussprach. Tatsächlich haben die Afrikaner keine eigenen Interessen in dem Konflikt. Selbst in dem mehrheitlich von Muslimen bevölkerten Guinea regt sich kaum Sympathie für den Irak. Ihre Stimme im Sicherheitsrat dürfte deshalb dem gehören, der am meisten dafür bietet – oder die schärfsten Kürzungen androht.
Vertreter aus Washington und London haben schon Gebote übermittelt, nun wird de Villepin das Gleiche tun. Dass mit Guinea und Kamerun zwei ehemalige französische Kolonien zu der Gruppe gehören, wird ihm nichts nützen. Beide Länder sind längst auch abhängig von Hilfe und Investitionen aus den USA. Und schließlich bieten Situationen wie diese eine Gelegenheit, dem ehemaligen Mutterland zu demonstrieren, dass die alten Zeiten endgültig vorbei sind. Mit Charme und rhetorischem Geschick allein wird de Villepin hier nicht weit kommen.