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Auf sich gestellt? Eine Mutter und ihr Kind.

© Getty Images/Digital Vision

Als wäre Patchwork nur eine Nähtechnik: Die Familienpolitik steht vor einem gewaltigen Modernisierungsproblem

Die Politik nimmt Alleinerziehende in den Blick – und weiß nicht einmal, wie viele es gibt. Der Familienbericht zeigt, dass in der deutschen Familienpolitik das 20. Jahrhundert noch nicht vorbei ist.

Karin Christmann
Ein Kommentar von Karin Christmann

Stand:

Wie geht’s der Familie? Großzügige 455 Seiten gönnt sich die Bundesregierung, um sich in einem aktuellen Bericht dieser Frage zu nähern. Vor allem geht es um die Lage aller Eltern, die ihre Kinder getrennt oder ganz alleine erziehen.

Erstaunlich, dass die simpelste aller Fragen, die sich da aufdrängt, gar nicht zu beantworten ist. Wie viele Allein- und Getrennterziehende es überhaupt gibt, weiß der deutsche Staat nur sehr ungefähr. Die amtliche Bevölkerungsstatistik ist konzipiert als wäre Patchwork nur eine Nähtechnik.

Eine alleinerziehende Mutter, bei der aber ein neuer Partner eingezogen ist; ein getrennt lebender Vater, der aber nicht ungebunden ist, sondern sich um seine Kinder kümmert: All diese Lebenslagen verschwinden in der Statistik.

Das ist kein oberflächliches Problem. Sondern Ausdruck der Tatsache, dass in der deutschen Familienpolitik das 20. Jahrhundert noch nicht vorbei ist.

Die Ampel hatte sich vorgenommen, das zu ändern. Kinder sollten davor geschützt werden, einem prügelnden Elternteil zum Umgang ausgeliefert zu werden. Lesbische Co-Mütter sollten ihr eigenes Baby nicht mehr adoptieren müssen. Beim Unterhalt sollte berücksichtigt werden, wenn etwa ein Vater seine Kinder nicht nur alle zwei Wochenenden sieht, sondern deutlich häufiger. All das ist sehr dringend und wichtig.

Geworden ist daraus: nichts. Eine Peinlichkeit für die drei Parteien. All diese Themen müssen für die nächste Legislaturperiode auf Wiedervorlage.

Ideen zu Elterngeld und Wechselmodell

Der Familienbericht, den eine Kommission erarbeitet hat, gibt Dutzende Ideen auf den Weg. Als erstes Beispiel: Die Politik soll mehr dafür tun, dass jedes Elternteil so gut wie möglich für sich selbst sorgen kann. Das ist völlig richtig, und der Schlüssel dafür ist allzu oft die erste Elternzeit, in der sich die Karrierewege von Müttern und Vätern trennen.

Es wäre an der Zeit, das Elterngeld zukunftstauglich zu reformieren. Wo der Staat so viel Geld gibt, darf er damit auch Ziele verbinden, sprich: eine partnerschaftliche Aufgabenteilung. Da ließe sich so einiger Anreiz schaffen, zum Beispiel, indem mehr Prozent vom Gehalt ersetzt werden, wenn beide Elternteile gleich viele Monate Elternzeit nehmen.

Es wäre an der Zeit, das Elterngeld zukunftstauglich zu reformieren. Wo der Staat so viel Geld gibt, darf er damit auch Ziele verbinden.

Karin Christmann

Und nun das Aber: Kinder brauchen Eltern, und zwar nicht erst ab 18 Uhr. Beide Elternteile Vollzeit im Hamsterrad, das kann nicht das Ziel sein. Aufgabe der Familienpolitik ist immer auch, einen Schutzraum zu schaffen.

Die nächste Idee: die gemeinsame Elternverantwortung auch nach einer Trennung zu fördern. Das würde heißen, das Wechselmodell zu stärken, das derzeit nur von wenigen Familien gelebt wird.

Auch das ist ein richtiger Gedanke. Doch auch hier das Aber: Das Wechselmodell verlangt Kindern viel ab. Sie sind es, die permanent aus dem Koffer leben. Diese Perspektive muss mitgedacht werden. Auf die beste Lösung im Einzelfall kommt es an.

Alleinerziehende zahlen mehr Steuern als Alleinverdiener

Und dann deutet der Bericht noch an, wo die Politik Alleinerziehenden womöglich mehr abverlangen sollte. Wer von Bürgergeld lebt und ein Kind unter drei Jahren hat, ist grundsätzlich von der Verpflichtung befreit, sich eine Arbeit zu suchen. Im Einzelfall können die Regeln strenger sein, wenn nämlich ein Kind einen Kita-Platz hat. Aber so kann, je nach Lebenslage und Motivation, ein Anreiz entstehen, diesen Platz erst gar nicht zu suchen.

So wichtig es ist, auf die ganz besonderen Belastungen Rücksicht zu nehmen, die Alleinerziehende haben: Die Kommission hat recht, wenn sie sachte anmerkt, dass man so mittelfristig auch den betroffenen Müttern und Vätern nichts Gutes tut.

Umgekehrt besteuert der Staat Alleinerziehende über alle Maßen, wie im Bericht kritisiert wird. Bei einem gleich hohen Einkommen zahlt ein Alleinerziehender mit zwei Kindern erheblich mehr Steuern als ein Alleinverdiener, der eine Ehefrau zu versorgen hat. Der Missstand ist seit langem bekannt – und doch unglaublich.

Zu tun also ist viel. 455 Seiten: Die Fußnoten und das Literaturverzeichnis können die Verantwortlichen in der Politik weglassen. Der Rest ist Pflichtlektüre.

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