Politik: Ältestes deutsches Kernkraftwerk geht vom Netz
Opposition stellt Atomkonsens in Frage – Koalition hält dagegen: Der Ausstieg ist keine grüne Marotte
Berlin - Das älteste deutsche Atomkraftwerk im baden-württembergischen Obrigheim könnte dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) zufolge im kommenden Mai vom Netz gehen. Der Reaktor wäre das zweite Kernkraftwerk nach Stade, das im Zuge des Atomkonsenses zwischen Bundesregierung und Stromerzeugern von 2000 stillgelegt würde. Das tatsächliche Abschaltdatum hängt laut BfS davon ab, wie der Betrieb in den nächsten Wochen weiterläuft.
Um die derzeitige Leistung des Kraftwerks in Höhe von 300 Megawatt zu kompensieren, setzt der Betreiber EnBW ausschließlich auf fossile Energieträger. „Wir werden die Produktion in unseren Gas- und Steinkohlekraftwerken entsprechend ausweiten“, sagte EnBW-Sprecher Dirk Ommeln dem Tagesspiegel. Die nötigen Investitionen in zusätzliche Kapazitäten seien bereits erfolgt. An der Leistung der anderen beiden EnBW-Kernkraftwerke Philippsburg und Neckarwestheim ändere sich dagegen nichts. Auch verstärkte Stromimporte seien „kein Thema“, sagte Ommeln. Die 300 Mitarbeiter in Obrigheim würden zunächst weiter beschäftigt.
Unterdessen haben Wirtschaft und Opposition den Ausstieg aus der Kernkraftnutzung fünf Jahre nach dem Atomkonsens erneut in Frage gestellt. Die energiepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Gudrun Kopp, sprach sich am Mittwoch bei der Wintertagung des Deutschen Atomforums für eine verlängerte Laufzeit der deutschen Kernkraftwerke aus – wie vor einigen Tagen schon der Bundesverband der Deutschen Industrie. Kopp bezeichnete den Ansatz des Atomkonsenses als „völlig falsch“. Weltweit gebe es eine „Renaissance von Kernkraft“, während hier zu Lande „Forschungs- und Denkverbote“ verordnet worden seien.
Auch die CDU/CSU hält Atomkraft für unverzichtbar. Die Union wolle zwar ebenso wie die rot-grüne Regierung den Anteil der erneuerbaren Energien ausbauen, „aber nicht um jeden Preis“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn bei der Tagung des Atomforums. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Martin Wansleben, hatte zuvor in einem Interview gesagt, nur ein breiter Energiemix unter Einschluss der Kernenergie gewährleiste, dass klimapolitische Verpflichtungen erreicht werden könnten, ohne dass die Energiepreise weiter stiegen.
Die energiepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Michaele Hustedt, wies solche Befürchtungen zurück. Sie sei überzeugt, dass der Anteil der Atomkraft an der Stromerzeugung in Zukunft eher sinken werde. „Der Atomkonsens ist nicht nur eine grüne Marotte“, sagte sie dem Tagesspiegel. Hustedts Parteikollege, Bundesumweltminister Jürgen Trittin, hatte zuvor der Nachrichtenagentur AP gesagt, eine neue Ausstiegsdebatte führe nur dazu, dass anstehende Investitionen in andere Kraftwerke verzögert und Arbeitsplätze gefährdet würden.
„Politische Vorgaben, die einzelne Energieträger aus dem Energiemix verbannen wollen und andere über Gebühr fördern, sind nicht der richtige Weg“, kritisierte dagegen der Präsident des Atomforums, Walter Hohlfelder. Niemand wisse, ob das „politische Meinungsbild“ bis zum vereinbarten Auslaufen der Kernenergie in 20 Jahren noch dasselbe sei.