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Das Leiden lindern, das Leiden beenden: Wer darf darüber entscheiden?

© epd

Bundestag debattiert über Sterbehilfe: Am Ende ein Gesetz

In der vergangenen Woche debattierte der Bundestag über die Sterbehilfe. Die Töne waren unangemessen schrill, die Plattitüden zahlreich und die demagogischen Floskeln erbärmlich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Wolfgang Prosinger

Der Nebel beginnt sich zu lichten. Das ist gut. Doch was nun in Umrissen zum Vorschein kommt, ist weniger gut.

Es geht um jenes Sterbehilfegesetz, vor dem sich die deutsche Politik viele, viele Jahre gedrückt hat und das in diesem Herbst endlich verabschiedet werden soll. Zum zweiten Mal bereits hat am vergangenen Donnerstag der Bundestag darüber diskutiert.

Es war, obwohl bei dieser existenziellen Frage Freiheit von allen Fraktionszwängen bestand und die Meinungen kreuz und quer durch die Parteien gingen, nicht eben eine würdige Debatte. Die Töne waren unangemessen schrill, die Plattitüden zahlreich und die demagogischen Floskeln erbärmlich. Dass Ärzte den Sterbenden die Verzweiflung nehmen sollten, aber nicht das Leben; dass Menschen an der Hand eines anderen, aber nicht durch die Hand eines anderen sterben sollten – das Pathos dieser Rhetorik hilft niemandem, und es wird durch ihre jahrzehntelange Wiederholung nicht erträglicher.

Dabei stand die Schärfe der Worte in deutlichem Widerspruch zu dem Gegenstand, um den es geht. Zur Debatte stand ja nicht die schwierige Frage der aktiven Sterbehilfe, also der Tötung auf Verlangen, wie sie etwa in den Benelux-Staaten möglich ist. Es geht um eine weit weniger bedenkliche Form der Sterbehilfe, um den assistierten Suizid, bei dem ein Helfer dem Sterbewilligen ein tödliches Medikament reicht, das dieser sich mit eigener Hand zuführen muss, so dass die Tatherrschaft bei ihm selbst bleibt. Das ist eine Art der Selbsttötung, die nur von sehr wenigen Menschen in Anspruch genommen wird. Kaum ein Grund eigentlich für die Hitze der Debatte.

„Geschäftsmäßige“ Sterbehilfe soll verboten werden, egal ob sie von Vereinen oder Ärzten ausgeführt wird

Wie sich mittlerweile abzeichnet, wird von den vier Gesetzentwürfen, die dem Bundestag vorliegen, jener die größten Erfolgschancen haben, der von einer parteiübergreifenden Gruppe um die Abgeordneten Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) formuliert wurde. Er genießt auch die Unterstützung von Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Hermann Gröhe. Er will die „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe verbieten, egal ob sie von Vereinen oder Ärzten ausgeführt wird.

Dagegen wäre natürlich nichts zu sagen, wenn damit nur ein Verbot der kommerziellen, sogenannten „gewerbsmäßigen“ Sterbehilfe gemeint wäre. Dass Gewinnorientierung, Geschäftemacherei untersagt sein müssen, wenn Leiden todkranker Menschen gelindert werden sollen, ist gewiss Minimalkonsens im Deutschen Bundestag. Aber es geht bei dieser Gesetzesvorlage um mehr: um das Verbot, Sterbehilfe wiederholt zu leisten.

Genau das macht diesen Vorschlag inhuman. Denn damit wird Expertentum verhindert, also die Gewissheit für den Leidenden, sich in geübte Hände begeben zu können. Schließlich fände sich bei einer solchen Gesetzeslage gewiss kaum ein Arzt mehr dazu bereit, wiederholt Sterbehilfe zu leisten. Er müsste dann mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Also wird er nichts dergleichen tun.

Das Ergebnis: Der Entwurf fällt hinter die bisherigen Entscheidungen deutscher Gerichte zurück. Das heißt, dass Menschen in Not wieder auf krumme Wege angewiesen sind, sich unter Umständen an Personen wenden müssen, über deren Kompetenz sie nicht im Bilde sind. Oder dass sie sich auf grausame, unzuverlässige oder auch andere Menschen in Mitleidenschaft ziehende Suizidmethoden einlassen. Oder dass sie schließlich weiter jene Wege gehen, die mit dem zynischen Wort „Sterbehilfe-Tourismus“ bezeichnet werden: Sie reisen nach Holland oder in die Schweiz. Alles wie gehabt.

Warum aber macht man dann überhaupt ein Gesetz? Wem ist damit gedient? Will man lediglich auf einer moralischen Norm beharren, die übrigens der deutlichen Mehrheitsmeinung der deutschen Bevölkerung widerspricht? Oder geht es um die Sorge, eine Liberalisierung könnte zum Verrutschen ethischer Maßstäbe führen, zu einem Dammbruch?

Sie ist vollkommen unbegründet, diese Sorge. Wissenschaftliche Studien haben immer wieder ergeben, dass in jenen Ländern, in denen der assistierte Suizid gestattet ist, keinerlei Zunahme solcher Fälle zu verzeichnen ist.

Noch ist Zeit bis zur Abstimmung im Herbst. Zeit, darüber nachzudenken, ob das Strafgesetzbuch wirklich das einzige Mittel ist, ein gesellschaftliches Problem zu lösen. Zeit, sich den alternativen Entwurf einer weiteren parteiübergreifenden Abgeordnetengruppe um Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) genauer anzusehen. Diese Zeit sollten die Abgeordneten nutzen.

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