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Beeindruckende Verliererrede von Hillary Clinton, hier zwischen dem ehemaligen Präsidenten Bill Clinton (l) und dem Senator Tim Kaine.

© REUTERS

Hillary Clinton: Am Ende groß

Hillary Clinton konnte die Amerikaner nicht dazu bewegen, sie ins Herz zu schließen. Ihre Abschiedsrede weckte dann aber doch viele Emotionen.

Am Tag nach dem Ende ihrer Träume steht Hillary Clinton im Ballsaal eines New Yorker Hotels und spricht über die Zukunft, die nicht mehr ihr gehört. „Das schmerzt und wird noch lange schmerzen“, sagt sie vor mehreren hundert Anhängern im Saal und den Live-Kameras der Fernsehsender. Clinton, die seit Jahrzehnten in der Politik ist, hat den Kampf ums Weiße Haus gegen einen Mann verloren, der Frauen beschimpft und begrapscht hat und der noch nie ein Wahlamt innehatte. Ein bitterer Moment. Statt der erhofften Siegesrede hält sie eine Abschiedsansprache.

Diszipliniert wie man es von ihr gewohnt ist, erkennt Clinton das Ergebnis an. Doch merkwürdigerweise zeigt Clinton ausgerechnet nach ihrer Niederlage eine emotionale, verletzliche Seite, die viele Amerikaner in den langen Jahren ihrer Karriere und den langen Monaten des Wahlkampfes vermisst haben. Sie spricht mit Überzeugung statt mit Statistiken, sie wendet sich an die neue Generation, sie verhehlt ihre tiefe Enttäuschung nicht. Im Wahlkampf hat sie oft schrill gewirkt, manche ihrer Sätze wirkten einen Spur zu eingeübt, um überzeugend zu wirken – doch jetzt spricht sie von Herzen. Amerika sei offenbar tiefer gespalten, als sie sich das vorgestellt habe. „Hört niemals auf, daran zu glauben, dass es sich lohnt, für das zu kämpfen, an das man glaubt“, beschwört Clinton ihre Anhänger. Dem Wahlsieger und Populisten Donald Trump gibt sie mit auf den Weg, er solle den Rechtsstaat, die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz und die Religionsfreiheit achten. An die „kleinen Mädchen“ in ganz Amerika appelliert die Politik-Veteranin, sie sollten für ihre Träume eintreten. „Ihr müsst weiter kämpfen.“ Die 69-Jährige selbst wird nicht mehr Teil dieses Kampfes sein. Ihre Karriere ist zu Ende. Als sie am Ende ihrer Rede von der Bühne geht, tritt sie auch politisch ab.

Sie hat mehr Stimmen bekommen als Trump und doch verloren

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Clinton am Mittwochabend an Trump vorbeizog, was die absolute Zahl der Stimmen angeht. Noch immer ist nicht ausgezählt, das kann noch Tage dauern. Aber auf Clintons Niederlage wird das keine Auswirkungen haben, weil in den USA das Wahlmännerprinzip gilt, nach dem alle Wahlmänner eines Bundesstaats demjenigen Kandidaten zugesprochen werden, der dort die Mehrheit hat. Zuletzt hatte im Jahr 2000 Al Gore gegen George W. Bush verloren, obwohl er absolut gesehen mehr Stimmen hatte.

Es ist ein langer Weg, der für Clinton zu Ende geht. Die Tochter eines Kleinunternehmers in Illinois zeigt schon früh die Intelligenz, die Disziplin und den Arbeitseifer, die für den Aufstieg ganz nach oben nötig sind. Nach dem Jurastudium auf der Elite-Universität Yale heiratet sie Bill und engagiert sich für Kinder und Familien. Ihre Position als First Lady von Arkansas nach der Wahl Bills zum Gouverneur des Bundesstaats versteht sie als Gelegenheit, ihre familienpolitischen Vorstellungen voranzutreiben.

Die Geliebten ihres Mannes nennt sie "Proletenweiber"

Auch im Weißen Haus setzt sie diesen Kurs fort, indem sie im Auftrag ihres Mannes einen Versuch unternimmt, das amerikanische Gesundheitssystem zu reformieren – und am Kongress scheitert. Hillary Clinton ist kein graues Mäuschen an der Seite ihres mächtigen Mannes, das sich um den Blumenschmuck im Weißen Haus kümmert. „Ich hätte auch zu Hause bleiben, Plätzchen backen und Kaffeekränzchen abhalten können“, sagte sie vor der Wahl ihres Mannes zum Präsidenten. Clinton ist zäh, sie steckt viel ein, auch privat. Als eine Affäre ihres Mannes mit der Praktikantin Monica Lewinsky im Weißen Haus auffliegt und er deshalb fast sein Amt verliert, hält sie zu ihm – und startet kurz darauf mit einer Kandidatur für einen Sitz im Senat ihre eigene politische Karriere. Die Frauen, mit denen ihr Mann außereheliche Affären hat, nennt sie im kleinen Kreis „Proletenweiber“.

Eisern, ehrgeizig, kalt – das ist die Vorstellung von Hillary Clinton, die sich im Verlauf der Jahre bei den Amerikanern festsetzt. Donald Trump stellt sie im Wahlkampf als typische Vertreterin des abgehobenen Polit-Betriebs in Washington dar, in dem die Belange der einfachen Leute keine Rolle spielen. Selbst ehemalige Mitarbeiter sagen, die Politikerin nehme es nicht immer sehr genau mit der Wahrheit.

Das Magazin „New Yorker“ karikiert diese Weltfremdheit von Clinton in einem erfundenen Gespräch zwischen der Politikerin und ihren Beratern. Darin bemühen sie sich krampfhaft darum, eine lustige Bemerkung zu konstruieren, um der Öffentlichkeit zu beweisen, dass Clinton einen tollen Sinn für Humor hat. Das Ergebnis ist schreiend komisch – aber auch niederschmetternd, wenn man sich in Clinton hineinversetzt. „Kommt Leute, seid mal witzig“, fordert sie ihre Redenschreiber in der Satire auf. Sie begreift nicht, warum die Leute lachen, wenn sie hören, dass ein Pferd in eine Bar kommt und der Barmann sagt: „Warum das lange Gesicht?“

Am glücklichsten im Kampfgetümmel

Clinton beißt sich durch. Im Senat erwirbt sie sich den Ruf einer fleißigen und sachkundigen Politikerin – und bereitet sich gleichzeitig auf ihre erste Präsidentschaftskandidatur vor. Die „Eiskönigin“ wird Clinton genannt. Als sie bei einem Treffen mit Wählerinnen in einem Café kurz ihre Maske sinken lässt und bei einer Frage nach dem Druck im Wahlkampf mit brüchiger Stimme fast in Tränen ausbricht, bringt ihr das mehr Sympathien ein als ein Dutzend Reden.

Doch ihr Pech ist es, dass sie 2008 gegen das Ausnahmetalent Barack Obama antritt. Sie verliert – und steckt auch diese Schmach weg. Als Außenministerin arbeitet sie vier Jahre lang für ihren ehemaligen Rivalen und fällt wieder durch Fleiß und viele tausend Flugkilometer auf. Doch schon damals hat sie wohl einen neuen Anlauf auf das Präsidentenamt im Hinterkopf.

„Am glücklichsten ist sie mitten im Kampfgetümmel, wenn sie den Feind fest im Blick hat und in den Angriffsmodus schaltet“, zitiert der Watergate-Enthüllungsjournalist und Clinton-Biograf Carl Bernstein im Sender CNN Mitarbeiter der Demokratin.

Doch ihr Hang zur Geheimniskrämerei holt sie immer wieder ein. Mit jahrzehntelanger Verspätung findet Bernstein heraus, dass Clinton einst durchs juristische Staatsexamen rauschte – sie hatte das geheim gehalten. Auch die Affäre um die Nutzung eines privaten Mail-Servers für dienstliche Mitteilungen in ihrem Amt als Außenministerin und die anschließende Vernichtung tausender Mails passt in dieses Schema.

Kritiker werfen Clinton vor, als Ministerin den Großspendern für die Stiftung ihres Mannes privilegierten Zugang zum Außenamt gewährt zu haben. Die Bundespolizei FBI schaltet sich während des Wahlkampfs gleich mehrfach ein und durchforstet Clintons Mails, verzichtet aber auf strafrechtliche Ermittlungen. Clinton ist erleichtert, doch ein schlechter Nachgeschmack bleibt.

Bernstein, der zusammen mit seinem Kollegen Bob Woodward einst Präsident Richard Nixon zu Fall gebracht hatte, sagte Clinton schon vor Jahren große Schwierigkeiten voraus, falls sie die Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit nicht ausräumen könne. Er sollte Recht behalten.

Clinton kann die Amerikaner nicht dazu bringen, sie zu lieben. Und an einem Wahltag, an dem drei von vier Bürgern sagen, sie wünschten sich den politischen Wechsel, ist sie als Vertreterin des Washingtoner Polit-Betriebs plötzlich angreifbar. Dabei hätte sich Clinton einen besseren Gegenkandidaten als den politisch unerfahrenen Sprücheklopfer Donald Trump, der Frauen, Latinos und andere wichtige Wählergruppen gegen sich aufbringt, gar nicht wünschen können. Zeitweise liegt sie in den Umfragen zehn und mehr Prozentpunkte vorn. Manche werfen ihr vor, den Wahlkampf in einigen wichtigen Bundesstaaten zu vernachlässigen, weil sie sich sehr, zu sicher sei. Und dann läuft der entscheidende Tag für Clinton nach der Stimmabgabe in der Schule für sie völlig aus dem Ruder.

Niederlagen sind Teil der Realität

Nichts deutet zunächst darauf hin, dass ihre großen Träume binnen wenigen Stunden in sich zusammenbrechen werden. Alles läuft eigentlich wie geplant, in den letzten Umfragen vor der Wahl hat sie noch einmal zugelegt. Trumps Wahlkampfteam ist verunsichert, Clintons Helfer sprechen dagegen von vielen Neuwählern, die ihrer Kandidatin zum Sieg verhelfen sollen.

Hillary Clinton ist am Wahltag erst am frühen Morgen gegen halb vier von ihrer letzten Wahlkampftour zurückgekommen und ruht sich aus. Am Nachmittag macht sie sich von Chappaqua aus auf den Weg nach New York, wo sie den Wahlabend verbringen wird. Bei sich trägt sie zwei Versionen einer Rede: eine für den Fall des Sieges, eine für die Niederlage. In den frühen Morgenstunden des Mittwochs weiß sie, dass sie die erste Version in den Reißwolf stecken kann. Trump färbt die politische Landkarte der USA mit dem Rot der Republikaner ein, macht Clintons Hoffnungen auf das Präsidentenamt zunichte und beendet ihre lange politische Karriere.

Obama würdigt Clintons Leistungen als Senatorin und Außenministerin. Doch in der Politik seien Niederlagen nun einmal Teil der Realität. „Man rappelt sich hoch, klopft sich den Staub aus den Kleidern und geht zurück in die Arena“, sagt Obama. Das Amt des US-Präsidenten sei wie ein Staffellauf. Man habe den Posten eine Zeitlang inne und gebe ihn dann an den Nachfolger ab.

Clinton wird an diesem Staffellauf nicht teilnehmen. Immer wieder hat sie sich in den vergangenen Jahrzehnten nach schweren Rückschlägen aufgerappelt, um wieder auf die Beine zu kommen. Doch der letzte, der allergrößte Preis bleibt ihr verwehrt.

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