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Svenja Schulze und Jörg Steinbach (r, beide SPD) werden von Helmar Rendez (l) und von Demonstranten in orangenen Westen empfangen.

© Soeren Stache/dpa

Am Pranger in der Lausitz: Umweltministerin Schulze stellt sich Kohlearbeitern in Brandenburg

Die SPD-Umweltministerin steht für den Kohleausstieg und eine CO2-Steuer. In der Lausitz trifft sie auf ihre härtesten Gegner.

Als der Bus mit Svenja Schulze an Bord am Dienstagnachmittag auf dem Gelände des Kraftwerks Schwarze Pumpe eintrifft, warten schon ein paar Hundert wütende Kohlekumpel. „Alle leben hier von der Kohle“, sagt ein Mann, der die SPD-Umweltministerin gleich beim Aussteigen abpasst. „Sie wollen unsere Zukunft rauben.“ „Sensenpolitik CO2“ steht auf einem Schild, das er in der einen Hand hält, in der anderen hält er eine Sense aus Holz.

Schulze beginnt, ruhig zu erklären, dass der Klimawandel es erforderlich mache, schrittweise aus der Kohle auszusteigen. Sonst würde man den Kindern die Zukunft rauben. Doch Schulze und die Kohlekumpel fremdeln sichtlich. Manch anderer Politiker hätte ihnen vielleicht locker auf die Schulter geklopft und „Wo drückt denn der Schuh?“ gesagt. Stattdessen klopft Leag-Chef Helmar Rendez der Ministerin von hinten auf die Schulter: „Svenja, ich rette dich jetzt mal“, sagt er und lacht. Zusammen gehen sie die Straße entlang, die zum Kraftwerk führt. Am Rand stehen die Mitarbeiter des Energiekonzerns Leag und drehen der Ministerin demonstrativ den Rücken zu.

Das Kraftwerk Schwarze Pumpe in der Lausitz ist Schulzes dritte Station an diesem Tag ihrer Sommerreise durch Brandenburg. Das ostdeutsche Bundesland hat Schulze bewusst gewählt: Am 1. September finden Landtagswahlen statt und für die SPD sieht es nicht gut aus. Die AfD liegt gleichauf mit 19 Prozent. Da gilt es, zu signalisieren, dass die SPD die Kumpel nicht vergessen hat.

Es ist auch sonst ein besonderes Jahr für die Lausitz und die Kohlekumpel: Die Kohlekommission hat beschlossen, dass Deutschland bis 2038 aus der Kohle aussteigen soll. 17 Milliarden Euro sollen als Strukturhilfe allein in die Lausitz fließen. Doch die Summe kann die Ängste vieler Kohlekumpel vor der Zukunft nicht lindern. Schulze war an diesem Tag schon bei einem Unternehmen, das Rotorblätter von Windrädern recycelt. Sie hat sich ein Strukturwandelprojekt in Großräschen angeschaut. Doch der Termin mit den Kohlekumpel ist der Wichtigste: Den Leuten hier steht der Übergang nämlich erst noch bevor.

Unbeliebte CO2-Steuer im Wahlkampf

Auf der Straße zum Kraftwerk und mit Umweltministerin Schulze im Schlepptau fordert Rendez immer wieder jemanden auf, sein Anliegen deutlich zu machen. So etwa den Kraftwerksmitarbeiter Mathias Garig. „Ich bin längst nicht in Rente, wenn Deutschland aus der Kohle aussteigt“, sagt der 28-Jährige zu Schulze. Später, da ist Schulze schon weitergegangen, erklärt Garig: Er, der gelernte Elektriker, könne bestimmt woanders Arbeit finden. Nur zahle kein Arbeitgeber in der Region so gut wie die Leag. Im Schnitt sei es das Doppelte an Stundenlohn. Und noch etwas ärgert Garig, der selbst Auto fährt: Schulze fordert eine Steuer auf den Ausstoß von CO2 im Verkehrs- und Wärmesektor.

Garig dürfte in Brandenburg mit seiner Unzufriedenheit über die CO2-Steuer nicht allein sein. Und das weiß auch Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der sich mitten im Wahlkampf befindet und jetzt keine Störung aus Berlin brauchen kann, schon gar nicht durch das unbeliebte Thema Klimapolitik. Der Kohleausstieg war doch schon genug. Hinzu kommt: Sein Bundesland ist Pendlerland. Leicht könnte bei den Leuten der Eindruck entstehen, dass die SPD sie durch eine solche Steuer zusätzlich belastet will. Das könnte der AfD nutzen.

Den Fall des Pendlers im ländlichen Raum, der für seinen Arbeitsweg täglich 20 Kilometer zurücklegt, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung jüngst in einem Gutachten für das Umweltministerium untersucht. Bei einer Klimaprämie pro Kopf in Höhe von 80 Euro, wie sie die Wissenschaftler ins Auge fassen, gilt: Je mehr Kinder die Pendlerfamilie hat, desto weniger schlägt die CO2-Steuer am Ende des Monats zu Buche, bei einer moderaten Pendlerstrecke ist man schnell im Plus.

Dennoch dürfte Schulze die Bedenken aus Brandenburg gegen ihr Vorhaben ahnen. Deshalb hatte sie bei der Vorstellung der Gutachten zur CO2-Steuer bereits angekündigt, dass man sich Härtefälle genau anschauen würde. Doch Zeit, Mathias Garig und den anderen das alles genau zu erklären, bleibt Schulze an diesem Nachmittag nicht.

Neues Batterieprojekt steht für die Zukunft 

Sie steht mittlerweile bei Uwe Teubner, dem Betriebsratsvorsitzenden der Leag. Er ruft ins Megafon, dass das „kein Pillepalle“ beim Klimaschutz von Bundeskanzlerin Angela Merkel „nichts Gutes“ erahnen lasse. Konkret fordert er ein Anpassungsgeld gerade für die älteren Kohlekumpel. In den Strukturwandel-Hilfen ist dieses nicht mit eingerechnet. Fraglich ist, ob es in den Verhandlungen über Entschädigungen mit den Kraftwerksbetreibern eine Rolle spielen wird oder die Industriegewerkschaft IG BCE dieses Geld separat einfordern müsste.

Dann ruft Schulze selbst ins Megafon. „Ich stehe als Umweltministerin dafür, dass wir den Kohlekompromiss umsetzen.“ Und viel sei ja auch schon für die Lausitz getan worden, so etwa das Sofortprogramm und eben die Eckpunkte zum Strukturwandel-Gesetz. Sie werde sich dafür einsetzen, dass der verbindliche Fahrplan für die Strukturhilfen eingehalten werde. Es werde deshalb keine Sommerpause geben. Bei den Kohlekumpel sorgt das nur für verhaltenen Applaus. So ein Gesetz, sagt einer, hätte man doch schon längst verabschieden können.

In der Lausitz soll es an diesem Nachmittag aber nicht nur um die Sorgen der Mitarbeiter um die Zukunft gehen. Eingeladen hat die Leag Schulze auch, um den Baubeginn eines neuen Batteriespeicherprojekts zu feiern, nach Angaben des Energieversorgers eins der größten Europas. Das Projekt soll Mitte nächstens Jahres mit einer Kapazität von 53 Megawatt in Betrieb gehen. 25 Millionen Euro kostet der Bau des Batteriespeichers, das Land Brandenburg unterstützt das Vorhaben. „Der Speicher stellt einen von vielen Bausteinen in der Energiewende dar“, sagt Leag-Chef Rendez auf dem großen freien Platz, wo gebaut werden soll. Neben ihm ist der Grundstein für das Projekt gerade in eine Grube gelegt worden. Die Leag wolle sich nun zunehmend in weiteren Geschäftsfeldern engagieren, als Ergänzung zur Braunkohleverstromung. „Dafür brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen und Zeit.“

Die kleine Grube neben Rendez mit dem Grundstein für das Batterieprojekt steht symbolisch für die Zukunft der Lausitz. Doch Rendez zeigt auch auf das Kraftwerk hinter sich. „Das ist erst 20 Jahre alt.“ 50 Jahre alt könne es locker werden. Und so wird an diesem Dienstag klar: Für Rendez und viele Kohlekumpel scheint die Grube im Boden noch nicht vielversprechend genug zu sein.

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