Politik: Anders als geplant
Finanzwissenschaftler kritisiert die Verwendung der Solidarpaktmittel und rät zum Umsteuern
Berlin - Die ostdeutschen Länder haben wenig Steuereinnahmen, aber arm sind sie nicht. „Die neuen Länder sind finanziell wirklich gut ausgestattet, aber das viele Geld hat leider Ausgabengelüste geweckt und wird zum Teil falsch ausgegeben.“ So fasst der Dresdner Finanzwissenschaftler Helmut Seitz die Lage nach gut fünfzehn Jahren Einheit zusammen. In der Tat ist der Staat im Osten alles andere als arm: Dank der Finanztransfers zum Ausgleich der teilungsbedingten Nachteile und der fehlenden Steuereinnahmen kommen die Ost-Länder auf ein Einnahmeniveau, das um ein Viertel höher liegt als das der finanzschwachen West-Länder – und immer noch gut zehn Prozent über dem der reichen Länder wie Hessen oder Bayern. Auch die Ausgaben je Einwohner liegen damit deutlich höher. Doch das Geld, nicht zuletzt die Solidarpakt-Milliarden, wird oft nicht mehr dafür ausgegeben, wofür es gedacht war – vor allem für den Ausbau der defizitären Infrastruktur. Mittlerweile haben sich die Sachinvestitionen der neuen Länder dem niedrigen West-Niveau angenähert.
Die Frage ist denn auch, ob überhaupt noch Geld für die „klassische“ Infrastruktur gebraucht wird, also für Straßen, Krankenhäuser, Schulgebäude, Abwasseranlagen. Seitz hat Zweifel, ob es hier noch große Lücken gibt, und fordert die neuen Länder daher auf, sich endlich einmal die Mühe zu machen, den ihrer Ansicht nach noch bestehenden Bedarf „projektscharf“ zu benennen. Es dürfe nämlich nicht sein, dass die neuen Länder das Solidarpaktgeld für laufende Ausgaben verwenden – etwa für den immer noch bestehenden Personalüberhang.
Das aber tun sie. Laut Seitz hat 2004 allein Sachsen die Solidarpaktmittel gesetzeskonform nur für Investitionen eingesetzt. Alle anderen Länder haben – wie schon in den Jahren zuvor – die Vorgaben ignoriert. Sachsen-Anhalt gab das Geld nur zu 16 Prozent korrekt aus, Thüringen zu 45 Prozent, Mecklenburg-Vorpommern zu 58 Prozent, Brandenburg zu 63 Prozent. 2003 waren die Zahlen noch schlechter. Das Fazit von Seitz: „Warum soll der Steuerzahler so viel Geld nach Sachsen-Anhalt geben, wenn die Fehlverwendung der Mittel dort so hoch ist. Thüringen ist zudem auf einem gefährlichen Weg und könnte im Negativen bald Sachsen-Anhalt überholen.“
Um den Gesetzesbruch – der vom Bundesfinanzministerium seit Jahren geduldet wird – zu kaschieren, wollen einige neue Länder, voran Thüringen, die Verteilungskriterien ändern und den Begriff der wachstumsfördernden Investitionen erweitern. Das Soli-Geld soll auch für Berufs- und Hochschulen, Weiterbildung und Forschung ausgegeben werden dürfen. Nach dem Motto: Geld für Köpfe statt Beton. Auch Umweltschutz, Wohnungswesen oder Städtebau stehen auf der Liste. Für Seitz ein Unding, so schön das Motto auch klinge. „Es ist völlig unklar, warum der Osten für den Abbau seiner Nachteile im Vergleich zum Westen mehr Lehrer an den Schulen braucht. Hier sollen nur gesetzliche Vorgaben aufgeweicht werden.“ Dazu müsse aber das Gesetz geändert, also der Solidarpakt aufgeschnürt werden. Vorerst scheint der Vorstoß gestoppt zu sein, doch das letzte Wort ist wohl noch nicht gesprochen.
Seitz stellt bei aller Kritik jedoch nicht in Abrede, dass der Osten weiter Fördermittel braucht. Denn im Vergleich zu den EU-Nachbarn im Osten habe der deutsche Osten Konkurrenznachteile. Zudem fehle es gerade im kleinen Mittelstand an einer ordentlichen Kapitalbasis. Daher schlägt Seitz vor, unter Infrastruktur wieder verstärkt die wirtschaftsnahe und gewerbliche Investitionsförderung zu verstehen. Dafür müssten die Mittel „rationaler“ ausgereicht werden. Sie sollten nur noch „bedarfsorientiert“ vergeben werden, statt frei verfügbar zu sein wie jetzt. Auch sollte das Geld von Jahr zu Jahr flexibel eingesetzt werden können. „Das ermöglicht auf der einen Seite das Vorziehen von Investitionsprojekten, und auf der anderen Seite nimmt es den Druck, Mittel in bestimmten Jahren sinnlos zu verbraten.“ Zudem könne das Geld regional flexibel eingesetzt werden. „Es geht um Jobs im Osten, da ist es gleichgültig, ob die in Rostock oder Dresden entstehen.“
Seitz bezeichnet seinen Vorschlag als „Verschärfung“ der gegenwärtigen Vergabepraxis, weil konkrete Projekte hinter den Ausgaben stünden. „Im Grunde ist es die Rückkehr zur Praxis des früheren Investitionsförderungsgesetzes.“ Freilich kann Seitz damit nicht ausschließen, dass wieder „regionalpolitische Appeasementprojekte“ wie der Lausitzring oder „Sportarenen für siebtklassige Vereine“ gefördert werden. Die öffentliche Kontrolle der Mittelverwendung, so Seitz, wäre aber besser als im derzeitigen Zustand.