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Sie hört viel, sagt aber wenig, jedenfalls zur BND-NSA-Affäre - Angela Merkel, Bundeskanzlerin.

© Reuters

BND/NSA-Affäre: Angela Merkel am Wendepunkt

In der Geheimdienst-Affäre steht Angela Merkels politisches Kapital auf dem Spiel. Die Kanzlerin kann nicht länger schweigen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Stephan Haselberger

Wenn das so weiterläuft, und wenn sie es so weiterlaufen lässt, dann kann die BND/NSA-Affäre zum Wendepunkt von Angela Merkels Kanzlerschaft werden. Auf dem Spiel steht nicht weniger als Merkels wichtigstes politisches Kapital: Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit. Beides wird dieser Kanzlerin über die politischen Lager hinweg in einem Ausmaß zugeschrieben, von dem viele ihrer Vorgänger nur träumen konnten; darauf gründet ihre Macht auch als Vorsitzende der CDU.

Ein ungeheurer Verdacht

Merkel und die Deutschen – das ist vor allem die Geschichte eines besonderen Vertrauensverhältnisses. Die Frau an der Spitze hat diese Ausnahme-Beziehung nach Kräften gefördert. Dass sie selbst in den Reihen des politischen Gegners kaum entschiedene Ablehnung erfährt, erst recht keine Abneigung hervorruft, zählt zu den wichtigsten Merkmalen ihres geräuscharmen Regierungsstils. Im Kern geht es darum, ein Gefühl der Sicherheit zu erwecken, den festen Glauben daran, es könne nicht viel schiefgehen, so lange sie, die nüchterne Physikerin, im Kanzleramt waltet. Diesen Glauben hatten bislang viele im Land.

Nun aber sieht es danach aus, als sei doch einiges schiefgegangen im Kanzleramt unter der Führung von Angela Merkel.

Im Raum steht ein ungeheurer Verdacht: Haben Merkels Kanzleramtschefs Thomas de Maizière und Ronald Pofalla aus Rücksicht auf den mächtigsten Bündnispartner, die USA, zugelassen, dass der US-Geheimdienst NSA sich über Jahre hinweg des Bundesnachrichtendienstes bediente, um europäische Partner und womöglich sogar deutsche Unternehmen auszuspähen? Das allein könnte Merkels Glaubwürdigkeit bereits Schaden zufügen, auch wenn in der Union viele daran nicht glauben mögen und darauf setzen, das Thema interessiere den Wähler nicht. Sie könnten sich irren.

Was hat sie unterlassen?

Denn seit dem Wochenende lastet ein weiterer Verdacht auf Merkels Kanzleramt: Hat der Merkel-Vertraute Pofalla die Wähler im Bundestagswahlkampf 2013 belogen? Die Frage stellt sich nicht nur der Opposition, auch der Koalitionspartner SPD spricht von Täuschung.

Tatsache ist, dass Pofalla als Kanzleramtschef wenige Monate vor der Wahl versicherte, die USA hätten der deutschen Regierung ein No-Spy-Abkommen zugesagt, obwohl im Kanzleramt offenbar klar war, dass Washington dazu niemals bereit sein würde. Wäre Pofalla heute noch im Amt, auf seine politische Zukunft wollte man nicht wetten.

Was hat die Frau, der die Deutschen vertrauen, von alledem gewusst? Was hat sie getan, was unterlassen? Diese Fragen mögen der Kanzlerin nicht gefallen; dass sie laut gestellt werden, wird sie sich aber gefallen lassen müssen, auch von der SPD.

Die Sozialdemokraten, so viel ist inzwischen klar, werden auf die Koalitionsdisziplin keine große Rücksicht mehr nehmen. Ihre Motive, am Ruf der Kanzlerin zu kratzen, mögen durchsichtig sein. Es ist aber nicht Aufgabe der SPD, das einzigartige Vertrauensverhältnis zwischen Merkel und den Deutschen zu verteidigen. Dafür ist Angela Merkel schon selber zuständig. In ihrem eigenen Interesse. Und im Interesse der Wähler. Ihnen schuldet sie eine Antwort auf die Frage, ob dieses Vertrauen gerechtfertigt war und ist.

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