zum Hauptinhalt

Politik: Arbeitslos – für weniger Geld

ALG-II-Kürzungen für Jugendliche umstritten / Länder wehren sich gegen Reformpläne der Bundesagentur

Von
  • Matthias Schlegel
  • Antje Sirleschtov

Berlin - Mit seinen Plänen, das Arbeitslosengeld (ALG) II für Jugendliche ab April einzuschränken, kann Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) auf Unterstützung in der Koalition rechnen. Politiker beider Regierungsfraktionen signalisierten am Montag Zustimmung zu den Plänen. Danach sollen arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahren nur noch im Ausnahmefall durch Auszug aus der elterlichen Wohnung eine geförderte Bedarfsgemeinschaft gründen können.

Konkret bedeuten die Gesetzespläne des Arbeitsministers, dass die betroffenen Jugendlichen nur noch 80 Prozent des ALG-II-Regelsatzes erhalten. Nur in Ausnahmefällen können sie – nach Genehmigung des Arbeitsamtes – aus der elterlichen Wohnung ausziehen und dann auch den vollen Regelsatz und Unterkunftskosten erhalten. Ein Sprecher des Arbeitsministeriums sagte, die Regelung sei „die Umsetzung des Koalitionsvertrages“. Münteferings Ziel ist es, mit dem Gesetz eine Entwicklung zu stoppen, die nach der Verabschiedung der Hartz-IV-Reformen begonnen hatte. Seit 2005 hatten einige hunderttausend jugendliche Arbeitslose eigene Hausstände gegründet.

Kritik an der geplanten Neuregelung kam von den Grünen und der Linkspartei, aber auch von einzelnen Sachverständigen. Bei einer Anhörung im Bundestag hieß es am Montag, die Regelung sei nicht praktikabel, weil der Gesetzentwurf keine klaren Kriterien dafür liefere, wann der Auszug eines Jugendlichen aus der elterlichen Wohnung unterstützt wird und wann nicht. Jugendliche, deren Verhältnis zu den Eltern zerrüttet ist, sollen nach dem Entwurf auf Antrag beim Jobcenter eine eigene Wohnung anmieten können und dafür die reguläre Wohnungskosten-Unterstützung und den vollen Regelsatz des ALG II erhalten. In Berlin sind nach Angaben der Grünen im Abgeordnetenhaus von den geplanten Kürzungen rund 26 500 junge Erwerbslose betroffen, knapp 20 000 von ihnen verfügten über keine abgeschlossene Ausbildung.

Scheitern könnte Münteferings Vorhaben vorerst auch an einem technischen Problem: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) teilte laut „Handelsblatt“ in ihrer Stellungnahme zum geplanten Gesetz mit, wegen Softwareproblemen sei eine Realisierung „nicht vor dem 1.1.2007 möglich“. Die dazu nötige Überarbeitung der Verwaltungssoftware „A2LL“ durch den Anbieter T-Systems könne erst Ende 2006 abgeschlossen werden.

Auch niedrigere ALG-II-Bezüge werden jedoch nichts daran ändern, dass manche Jugendliche einfach keinen Job bekommen – nämlich die mit extrem schlechten Abschlüssen oder die Schul- und Berufsschulabbrecher. Die Bundesagentur für Arbeit (BA), so hatte BA-Vizechef Heinrich Alt dem Tagesspiegel gesagt, möchte deren Qualifizierung ganz den Ländern überlassen. Schließlich sei Schule Ländersache, mithin fielen auch die Defizite bei der Schulausbildung in deren Zuständigkeit.

Mecklenburg-Vorpommerns Arbeitsminister Helmut Holter (Linkspartei/PDS) hält davon „gar nichts“. Das wäre lediglich eine Umschichtung von Geld, das Problem werde damit aber nicht gelöst, sagte Holter dem Tagesspiegel. „Man kann auf Bundesebene nicht einfach die Spreu vom Weizen trennen: Die Bundesagentur bessert mit den gut Vermittelbaren ihre Bilanzen auf, und die übrigen Jugendlichen überlässt sie den Ländern. Das ist der falsche Ansatz“, kritisierte Holter.

Gleichzeitig räumte der Minister ein, dass man im Norden bereits versucht, die gering qualifizierten Jugendlichen zu unterstützen: Zwei so genannte Produktionsschulen nach dänischem Vorbild gibt es in dem Bundesland, fünf sollen es insgesamt einmal werden. Auf freiwilliger Basis erhalten dort vor allem Schul- oder Ausbildungsabbrecher in fünf verschiedenen Ausbildungsrichtungen in drei bis 18 Monaten „maßgeschneiderte Unterstützung“, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Mit rund einer halben Million Euro unterstützt das Land jährlich diese Einrichtungen der Jugendberufshilfe.

Ähnliches gibt es auch in Sachsen-Anhalt. Dort trägt die Hilfe für gering qualifizierte Jugendliche den sperrigen Namen „modulare Teilqualifikation“. Die jungen Leute erwerben dabei einen zertifizierten Abschluss, ähnlich dem „Teilfacharbeiter“, wie es ihn zu DDR-Zeiten gab. Dennoch ist der Staatssekretär im Magdeburger Arbeitsministerium, Reiner Haseloff, dagegen, dass die Bundesagentur sich dieser Aufgabe künftig gänzlich entzieht. „In Bundesländern mit starkem Arbeitsmarkt wie Bayern oder Baden-Württemberg haben selbst leistungsschwache Schul- oder Berufsschulabgänger noch eine Chance, eine Stelle zu bekommen“, sagte er dem Tagesspiegel. Das sei in strukturschwächeren Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt ganz anders. Die BA habe als Bundesbehörde aber auch die Aufgabe, im föderalen System für Chancengleichheit zu sorgen.

Dennoch plädiert Haseloff dafür, über Alts Vorstellungen zu diskutieren: Schließlich sei denkbar, jene Länder, in denen Defizite bei der Schulausbildung nachgewiesen sind – etwa über Pisa- Tests – , stärker in die Verantwortung zu nehmen für die Vorbereitung der Jugendlichen auf den Beruf.

Zur Startseite