
© AFP/Mike Leyral
Inzidenz von 2800: Ärzte in Tahiti müssen Triage bei Corona-Patienten anwenden
Die Sieben-Tage-Inzidenz im französischen Überseegebiet Französisch-Polynesien übersteigt die 2800er-Marke. Ärzte stehen nun vor schweren Entscheidungen.
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Französisch-Polynesien, Tahiti: Drei Krankenwagen halten gleichzeitig vor einem Krankenhaus. Die Patienten müssen auf ihren Tragen auf dem Parkplatz warten. Währenddessen versuchen Mitarbeiter:innen des Krankenhauses Platz für sie zu finden. Sie hängen Tücher auf, um für die neuen Patienten Raum und Privatsphäre zu schaffen. Auf dem Parkplatz wird es enger. Zwölf Patienten, mit je einer Nummer markiert, warten draußen auf das Urteil eines Arztes. So wird es in einem Bericht der französischen Zeitung „Le Monde“ beschrieben.
In Tahiti ist das medizinische Personal gezwungen, Triage anzuwenden. Weil nicht alle Patienten versorgt werden können, entscheiden sie, wer medizinische Hilfe bekommt und wer nicht. Der Grund: die Deltavariante des Coronavirus.
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Über solche Situationen machte man sich in Deutschland zuletzt im April und Mai dieses Jahres Sorgen, als die Sieben-Tage-Inzidenz auf 170 und höher kletterte und sich die Betten auf den Intensivstationen immer schneller füllten. In manchen Regionen der Bundesrepublik kamen Kliniken an ihre Grenzen. Teilweise mussten Patienten in andere Krankenhäuser verlegt werden. Nur so konnten alle versorgte werden.
Jan-Thorsten Gräsner, Direktor des Instituts für Rettungs- und Notfallmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und Mitglied der Fachgruppe COVRIIN am Robert-Koch-Institut rechnete damals vor: „Ein Prozent der täglichen Neuinfizierten landet auf den Intensivstationen. Lässt man das außer Acht und verliert den Blick auf die Prognosen, dann wird das schiefgehen. Wir dürfen jetzt nicht zögerlich sein in einer Phase, wo wir noch strategisch entscheiden können. Nutze man diese Phase nicht, kann man in eine Triage-Situation kommen“, sagte er.
In Französisch-Polynesien ist nun jene Triage-Situation eingetreten. Laut „Le Monde“ müssen Ärzte bereits seit 14 Tagen darüber entscheiden, wer behandelt wird und wer nicht. „Es gibt nicht genügend Plätze, sodass wir uns mit Sicherheit mehr Sorgen um die Rettung eines jungen Menschen als um die eines älteren Menschen mit Komorbiditäten machen werden“, sagte eine Krankenschwester der Notaufnahme der Zeitung.
Inzidenz bei rund 2800
Die Inzidenz in Französisch-Polynesien liegt bei rund 2800 Fällen pro 100.000 Einwohner. Somit ist die Inselgruppe im Pazifik das am stärksten von Covid-19 betroffene französische Überseegebiet. Innerhalb eines Monats hat sich die Zahl der Corona-Fälle von einem Dutzend sprunghaft auf rund 8000 erhöht. Die Ursache dafür ist noch nicht gänzlich geklärt, hat aber wohl mit der Verbreitung der Deltavariante zu tun.
Dr. Alexis Goubert, stellvertretende Krankenhausdirektorin in Tahiti, erklärte „Le Monde“, dass bereits Büros in Krankenhauszimmer umgewandelt wurden. Ein psychiatrischer Flügel beherberge zudem chirurgische Patienten. „Es ist eine komplette Umgestaltung der Einrichtung“, so Goubert.
Auch im großen Durchgangsraum des Krankenhauses stünden mittlerweile Betten. 48 neue Plätze würden so zur Verfügung stehen. Insgesamt seien somit fast 300 Betten für Covid-19-Patienten reserviert.
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Zur prekären Lage kommt dem Bericht zufolge zudem der Fachkräftemangel. Tahiti verfüge nicht über genügend Arzthelfer:innen. Aus Frankreich seien deshalb bereits 15 Helfer:innen der Gesundheitsreserve und aus Neukaledonien acht Freiwillige nach Tahiti gekommen, um zu unterstützen. Laut Gesundheitsministerium sollen sieben weitere Helfer:innen und drei Anästhesisten am Mittwoch folgen, so berichtet es „Le Monde“.
Insbesondere nicht Geimpfte würden in Tahiti der Krankheit zum Opfer fallen. Laut Präsident Edouard Fritch seien das 98 Prozent der an Covid Erkrankten. Außerdem seien erst 41 Prozent der Polynesier zweimal geimpft. Zu wenige, wie er findet. „Diejenigen, die sich gegen den Impfstoff ausgesprochen haben, würde ich gerne in die Notaufnahme schicken“, zitiert ihn die Zeitung.
Die Behörden hatten am Freitag einen strengen Lockdown mit nächtlichen Ausgangsbeschränkungen verhängt, der zunächst für zwei Wochen gelten soll. Alle Schulen wurden geschlossen. Französisch-Polynesien mit seinen 118 Inseln und Atollen hat rund 280.000 Einwohner:innen. (Tsp mit dpa)
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